ALEXANDER EMMERICH and PHILIPP GASSERT, Amerikas Kriege (Darmstadt: Theiss, 2014), 264 pp.

Amerikastudien/ American Studies 60.4

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Es gibt bereits einige umfassende Überblickswerke zur amerikanischen Geschichte in deutscher Sprache (Sautter, 1976 [8. Aufl. 2013]; Heideking/Mauch, 2008; Dippel, 2010; Stöver, 2012; Berg, 2013;). Alexander Emmerich und Phillip Gassert strukturieren ihre US-Geschichte entlang „Amerikas Kriege[n]“. Diese Prämisse, die vielleicht gerade dem Kultur- oder Gesellschaftshistoriker zunächst etwas eng erscheinen mag, erweist sich als ausgesprochen zielführend. Nicht zuletzt ist das öffentliche Image der USA heute durchaus ein kriegerisches. Die Autoren halten es in ihrer Analyse keineswegs mit Heraklit und stellen den Krieg als „Vater aller Dinge“ dar, sondern spannen überzeugend den größeren Zusammenhang der verschiedenen Konflikte auf. Zu den diachronen Verflechtungen, die zuweilen über mehrere Jahrzehnte oder länger verfolgt werden, gehören Erinnerungskultur und nationale Mythen ebenso wie Argumentationsmuster für und wider den Krieg.

Gezwungenermaßen können die einzelnen Konflikte nicht in ihrem ganzen Detailreichtum behandelt werden. Gleichzeitig aber legen die Autoren besonderen Wert auf den öffentlichen Diskurs und erinnern immer wieder daran, dass keiner der Kriege, in die Amerika involviert war, unumstritten war – erst recht nicht in den USA selbst. Gerade für eine deutsche Leserschaft – und dieses Buch richtet sich eindeutig eher an eine interessierte Öffentlichkeit als an ein Fachpublikum – ist diese differenzierte Darstellung der amerikanischen Positionen interessant und – vom Vietnamkrieg einmal abgesehen – auch neu.

Unter der Leitfrage wie „Demokratie und Krieg“ zusammen gehen (7ff. und 248 ff.) entfalten die Autoren ein vielschichtiges und durchaus ambivalentes Bild. Es reicht von den Gründungsidealen in der Unabhängigkeitserklärung bis zum Massenpatriotismus nach dem 11. September 2001. Wilsons Reden zum Eintritt in den 1. Weltkrieg deuten Emmerich und Gassert als „Schlüssel zum Verhältnis der USA zum Krieg“ (8), wird doch die enge Verwobenheit von Idealismus und wirtschaftlichem Interesse ebenso deutlich wie die eigenartige Mischung aus Missionsdrang und Verantwortungsgefühl. Doch gehöre, so die These des Buches, auch der Ausbau von Geheimdienstapparaten und die Investition in Waffentechnologien, wie Langstreckenraketen oder jüngst Drohnen, zum „democratic way of war“ (10). Da demokratische Öffentlichkeiten eine besonders geringe Toleranzgrenze gegenüber den eigenen Opfern aufwiesen, seien sie eher bereit, alternative Formen zur klassischen Kriegführung zu akzeptieren um die eigenen Soldaten zu schützen. Dass jedoch auch gerade in den USA selbst über verdeckte Präventivmissionen der CIA oder den Einsatz von bestimmten Waffentypen heftig diskutiert wurde und wird, thematisiert das Buch an dieser Stelle nicht. Erst später wird darauf verwiesen dass, vor allem seit den 1970er Jahren, Menschenrechtsverletzungen einen neuen Stellenwert in den Antikriegsdiskursen haben (233). Auch die Frage, welche Rolle das Militär an sich in der amerikanischen Gesellschaft spielt, wird nicht erörtert, oder aber was es in diesem Zusammenhang bedeutet, dass die militärische Macht der USA seit der Staatsgründung fast immer auf Freiwilligen bzw. auf einem Berufsheer basierte und nur in Krisenzeiten auf einen allgemeinen Wehrdienst zurückgegriffen wurde.

Chronologisch beginnt die Analyse schon vor der Unabhängigkeit mit den Auseinandersetzungen europäischer Siedler untereinander (bes. Briten und Franzosen) und mit der indigenen Bevölkerung. Im Kapitel zur Unabhängigkeit wird der Krieg selbst eher rasch abgehandelt um den Gründungsdokumenten (Unabhängigkeitserklärung und Verfassung) mehr Raum zu geben (50-58). Sie legen die Basis für patriotische Argumente und Rhetorik in späteren Jahrhunderten. Schon hier wird klar, dass Zivilreligion einen festen Platz in den amerikanischen Kriegsdiskursen hat und umgekehrt, dass Amerikas Kriege immer auch tiefe Spuren im nationalen Selbstverständnis hinterlassen, was Emmerich und Gassert für die jeweiligen Epochen einleuchtend veranschaulichen. In kurzen Exkursen zeigen sie auch wie Literatur und Film die verschiedenen Kriege erinnern, kommentieren und reflektieren.

 

Das 19. Jahrhundert, das in anderen Darstellungen allzu oft vom Bürgerkrieg dominiert wird, erfährt in diesem Buch eine ausgewogene und facettenreiche Untersuchung. Neben den andauernden Konflikten mit den Indianern wird der oft vergessene Krieg von 1812 ebenso ausführlich dargestellt wie der Konflikt mit Mexiko und die Verwerfungen um Texas und Oregon. Mit Blick auf die Zukunft der USA im 20. Jahrhundert als atlantische aber eben auch pazifische Macht, ist besonders der Exkurs zu Kalifornien Mitte des 19. Jahrhunderts interessant (86-88). „Expansion, Dynamik und Fortschritt“ identifizieren Emmerich und Gassert als „Urerfahrung“ (21) der Amerikaner, während sie die auf der Grundlage der Monroe Doctrine fußenden, ideologischen Rechtfertigungsstrategien der Zeitgenossen in ein übergeordnetes Narrativ einbetten. Die Konsolidierung des eigenen Kontinents und die Sicherung der „schier uneinnehmbaren[n] geostrategische[n] Situierung“ (20) zwischen zwei Ozeanen, sei die treibende Kraft der amerikanischen Geschichte im 19. Jahrhundert. Hier, so Emmerich und Gassert, wurden die Voraussetzungen geschaffen für den Aufstieg zur Weltmacht im 20. Jahrhundert. Das ist vielleicht nicht neu, wird aber in dieser konkreten Langzeitanalyse besonders deutlich und nachvollziehbar herausgearbeitet.

Vor diesem Hintergrund lassen sich Brüche und Kontinuitäten im 20. Jahrhundert identifizieren, die zum einen der neuen global-politischen Dynamik, zum andern aber auch Veränderungen im Innern der USA geschuldet waren. Der Spanisch-Amerikanische Krieg und die Besitznahme der Philippinen, mit der die USA offiziell in den Kreis der (alten) Kolonialmächte eintrat, war ein solcher Moment der Veränderung, der jedoch auch der Endpunkt einer Entwicklung war, die schon im 19. Jahrhundert begonnen hatte (140). Gleichzeitig war dieser „erste Guerillakrieg des 20. Jahrhunderts […] ein Drama, das sich in der Geschichte der US-Militärintervention noch mehrfach wiederholen sollte.“ (135) Das endgültige Ende der „oft etwas missverständlich als Isolationismus bezeichnet[en]“ (S. 18) Leitidee der US-Außenpolitik war 1945 ebenfalls das Ergebnis eines längeren Prozesses. Gleichzeitig brachte dieser Umbruch die „globalisierte Version des amerikanischen Traums“ (174) und damit den Beginn einer neuen Ideologie hervor.

In den Kapiteln zum 20. Jahrhundert wird deutlich, dass hier die Expertise der Autoren liegt. Es gelingt ihnen auf wenigen Seiten jeweils eine beachtliche Dichte an Informationen zu präsentieren, ohne die Klarheit der Argumentation, die den Band im Ganzen auszeichnet, einzubüßen.

Auch die Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges ist größtenteils differenziert und in all ihrer Komplexität dargestellt, vom vermeintlich „‚unipolaren Moment’ der 1990er Jahre“ (227) bis zum Krieg gegen den Terrorismus. Die Kapitel zur unmittelbaren Vergangenheit weisen streckenweise Probleme auf, die beim historischen Blick auf allerjüngste Ereignisse jedoch nicht überraschen. Unabgeschlossene Prozesse machen eine historische Analyse bekanntlich schwierig und gelegentlich klingt sie hier etwas normativ. Dennoch gelingt es den Autoren auch diese Ereignisse mit dem übergeordneten Zusammenhang zu verknüpfen und die Dynamik von Geopolitik und öffentlicher Meinung auszuloten.

Im ganzen Buch finden sich immer wieder Formulierungen, die recht umgangssprachlich klingen (z. B. „Tom Paine hatte den Nagel auf den Kopf getroffen“ 51), während  andere zuweilen etwas lapidar anmuten (z. B. „Da die NATO Bomben gelegentlich ihre Zeile verfehlten, wurde die Weltmeinung immer negativer“ 236). Ein nicht-akademisches Publikum wird diesen Stil jedoch möglicherweise begrüßen. Kartenmaterial, biographische Skizzen und thematische Kurzartikel ergänzen den Inhalt und machen „Amerikas Kriege“ auch für die Lehre hervorragend einsetzbar.

Emmerich und Gassert legen eine klar strukturierte Geschichte der Vereinigten Staaten vor, die weit mehr bietet als ein Handbuch einzelner Kriege. Hier werden Querverbindungen geschaffen, Argumentationslinien nachvollzogen und Narrative relativiert. Dieses Buch lässt sich als Überblickswerk lesen, gibt aber auch Impulse zum Nachdenken über Krieg und Demokratie.

 

München                                                                                                         Charlotte Lerg