EDITH M. ZIEGLER, Harlots, Hussies & Poor Unfortunate Women. Crime, Transportation & the Servitude of Female Convicts (Tuscaloosa, AL: U of Alabama P. 2014), 228 pp.

 Amerikastudien/ American Studies 60.4

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Die Quellenlage zum Inhalt des Untertitels ist einerseits hervorragend, andererseits ausgesprochen schlecht. Hervorragend, weil – meist auf beiden Seiten des Atlantik  zahllose Gerichtsakten, Zeitungen, Memoiren, Berichte, Verordnungen, Gesetze, politische Demarchen, Schiffspapiere, Ego-Dokumente etc. mehr als ausreichend sind, um zahllose Fallstudien, Anekdoten, Genre-Skizzen, Kriminalgeschichte und vielerlei Informationen zu belegen; ausgesprochen schlecht, weil diese Quellen derart lückenhaft sind, dass so etwas Elementares wie die Anzahl der Deportierten, hier speziell zwischen 1718 (Transportation Act) und 1776, höchst umstritten ist.

 

Die Schätzungen liegen zwischen 25.000 und mehr als 50.000 Sträflingen, die zwangsweise von Britannien in die amerikanischen Kolonien spediert wurden, der Löwenanteil nach Virginia und Maryland. Davon sollen 20% bis 30% Frauen gewesen sein. Edith Ziegler glaubt an über 50.000 mit einem weiblichen Anteil von 15.000. Die niedrigeren Zahlen könnten unter anderem darauf zurückgehen, dass Historiker im 19. Jahrhundert (auch George Bancroft) auf den Druck der Pflanzer-Aristokratie reagierten, deren Albtraum es war, unter ihren Vorfahren könnten Kriminelle sein; es schien also ratsam, deren Existenz zu leugnen oder jedenfalls zu minimieren.

 

Ziegler widmet zwei der acht Kapitel der Kriminalität und dem Gerichtswesen vor allem in den großen britischen Städten, zwei der Überfahrt und dem Verkauf der Sträflinge in Maryland (Hauptuntersuchungsgebiet der Verfasserin). Das fünfte Kapitel behandelt Stellung und Tätigkeit der Frauen in Maryland, das sechste die Flucht aus dem Dienstverhältnis innerhalb der Kolonien. Im vorletzten geht es um die (geringe) Kriminalität der zu 7 oder 14 Jahren oder lebenslänglichem Aufenthalt verurteilten Frauen und die vorzeitige Rückkehr nach Britannien von einigen – ungeachtet der angedrohten (und selten ausgeführten) Todesstrafe. Im letzten Kapitel wird das Schicksal der weiblichen Sträflinge in den Jahren des Unabhängigkeitskrieges beschrieben.

 

Es war noch der Continental Congress, der 1788 eine Resolution verabschiedete, die den Einzelstaaten empfahl, „to pass proper laws for preventing the transportation of convicted malefactors from foreign countries to the United States” – eine Maßnahme, die den Sträflings-Import aus dem ehemaligen Mutterland endgültig abschloss, der jedoch 40 Jahre später eine neue Etappe der Kriminellen-Abschiebung in die USA folgte, diesmal aus etwa 30 anderen europäischen Ländern, darunter gut 20 deutsche Staaten. Bis Ende der 1860er Jahre liefen die getarnten Sträflings-Verschickungen der Kontinentaleuropäer nach Nordamerika mit den britischen völlig öffentlichen Deportationen nach Australien parallel. Die Zahlen allerdings lagen weit auseinander: etwa 4.000 in die USA, 163.000 oder gut 40-mal so viele nach Australien.

 

Eine Conclusion fehlt, aber es folgen sechs Appendices auf 20 Seiten, die nützliche Tabellen und Gesetzestexte enthalten. Das Buch hat Schwächen. Das vermutlich des Dreiklangs wegen in den Titel genommene „Harlots“ könnte den Eindruck erwecken, dass Prostitution zur Zwangsverschickung führte; sie war jedoch straffrei, und wer aus dieser Berufsgruppe verurteilt wurde, hatte sich etwas anderes zuschulden kommen lassen. Ähnlich irreführend ist das farbige Titelbild, das allem Anschein nach eine erfolgreiche und selbstbewusste Kurtisane in koketter Pose zeigt, die mit der Not und dem Elend der deportierten Frauen nicht das Geringste zu tun hat.

Gewichtiger ist der Einwand, dass dieses Buch wenig Neues bringt. Aus dem erwähnten Schatz von Fallbeispielen und Zitaten wurden viele verwendet, die andere noch nicht benutzt hatten, die aber an den Aussagen der bisherigen Autoren kaum etwas ändern. Ein Blick auf die Bibliographie macht deutlich, dass die Klappentext-Zeile von der „little-known episode in American History“ eher kommerziell als historisch zu verstehen ist. Aber die Autorin präsentiert ihre meist personenbezogenen und gewandt formulierten Ausführungen wirkungsvoll, bringt teils kurzweilige, teils ergreifende Zitate und erzählt ihre Geschichte manchmal recht spannend und immer gefällig.

 

Der Text beruht durchaus auch auf Archivstudien, wenngleich er insgesamt eher als Synthese zu betrachten ist. Die Aussagen sind größtenteils penibel belegt, und der Beurteilung durch die einschlägig ausgewiesene Historikerin Debra Meyer (auf dem Schutzumschlag) ist –­­ mit einigen Abstrichen – beizupflichten: „This well-researched work will contribute significantly to early modern gender, colonialism and transatlantic studies and provide lively required reading for undergraduates in these areas.“ Der vom Rezensenten hervorgehobene Teil gilt dagegen ohne Einschränkung.

 

Schnepfenthal (Thür.)                                                             Wolfgang Helbich