SABINA MATTER-SEIBEL, Contending Forces: Romantraditionen amerikanischer Schriftstellerinnen 1850-1900, Mainzer Studien zur Amerikanistik 61 (Frankfurt et. al: Peter land, 2013), 622 pp.

 

Amerikastudien/ American Studies 61.1

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Mit Contending Forces: Romantraditionen amerikanischer Schriftstellerinnen 1850-1900 hat Sabina Matter-Seibel einen längst fälligen Beitrag zur Erforschung des sentimentalen Genre in der Frauenliteratur vorgelegt. Im Fokus ihrer Untersuchung stehen nicht mehr allein Subversion und Widerstand in einer Vielzahl von Romanen weißer und afroamerikanischer Autorinnen, sondern auch das komplexe Zusammenspiel sowohl hegemonial-dominanter als auch subversiv-marginalisierter Konventionen, Sprachen und Lesarten. Matter-Seibel baut auf der feministischen, genderorientierten und revisionistischen Forschung der 1990er Jahre auf, die zu einer kontinuierlichen Neubewertung der Frauenliteratur und in Vergessenheit geratener Autorinnen und ihrer Werke beigetragen hat. Es mag zu Zeiten des transnational turn überraschen, dass der Fokus ausschließlich auf amerikanischen Texten und nationalen Belangen liegt. Es ist jedoch eine der besonderen Leistungen der Studie, einen äußerst dynamischen, erhellenden und sinnfälligen Dialog zwischen kanonisierten, erforschten Romanen amerikanischer Schriftstellerinnen und weniger bekannten Autorinnen zu entfachen. Die Studie beeindruckt außerdem durch ihre große Breite und die Detailliertheit der Textinterpretationen der ausgewählten Romane, wobei sich Herangehensweisen des New Historicism und der Rezeptionsästhetik gelungen ergänzen.

Indem sich Schriftstellerinnen der Tradition des sentimentalen Romans bedienen, argumentiert Matter-Seibel, schreiben sie gegen androzentrische Machtpositionen an, partizipieren daran aber zugleich, was unweigerlich zu ideologischer Verstrickung und zu einem Schwanken der Autorinnen „[z]wischen Ohnmacht und Ermächtigung“ (41) führe. Wie Matter-Seibel betont, ist die auktoriale Partizipation eine zweifache: sie umfasst weibliche Körper und Ideen bzw. Werte. So entstehen vielschichtige Texte, deren Gesellschaftsentwürfe und Gesellschaftskritik gleichermaßen auf materiellen und ideellen Aspekten basieren. Trotz der Hybridität der Romane ist für Matter-Seibel letztendlich die sentimentale Tradition bestimmend, wodurch ihre Studie stark durch Genre und Periodisierung geprägt ist. Diese methodische Ausrichtung birgt trotz der Betonung der ideologischen Ambiguität und dialogischen Verflochtenheit der ausgewählten Romane die Gefahr einer gewissen Homogenisierung, die den produktionsästhetischen – ganz besonders den intellektuellen und philosophischen – Ansprüchen und Leistungen der Schriftstellerinnen nicht immer gerecht wird. Ferner impliziert diese Herangehensweise eine nicht unproblematische linear-teleologische Sicht auf die untersuchten Romane innerhalb der Zeitspanne von 1850 bis 1900, wenn Matter-Seibel etwa konstatiert, dass die nachlassende Autorität des sentimentalen Romans mit einer zunehmenden Ablösung der Schriftstellerinnen von „herrschenden literarischen Konventionen und den Erwartungen des Lesepublikums“ (571) einhergeht.          

Auf das einleitende Kapitel, welches neben Forschungsstand, Fragestellung und Methode die Auswahl des Textkorpus erläutert, folgen vier Interpretationskapitel mit den Themenkomplexen „Frauenfrage,“ Wirtschaft und Arbeit, Reformliteratur als moralische Instanz und „Afroamerikanische Variationen.“ Jeder Themenbereich wird durch jeweils relevante sozio-historische Kontexte eingeführt, wobei Kapitel 2 zur „Frauenfrage“ grundlegende (hetero)normative Begrifflichkeiten, Ideologien und weibliche (Mittelschichts-)Ideale, wie etwa die der separate spheres, true womanhood, Ehe und Mutterschaft, self-possession, das „natürliche“ Wesen der Frau oder die häusliche Ideologie darlegt. Dieses Kapitel bietet eine hervorragende Einführung in die wesentlichen kultur- und ideengeschichtlichen Kontexte und die prägenden Diskurse zur Identitäts- und Subjektivitätsbildung weißer Frauen der Mittelschicht in der amerikanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Es zeigt auf womit bzw. wogegen sich Autorinnen wie Adeline D. T. Whitney, Elizabeth Stoddard, Louisa May Alcott, Elizabeth Stuart Phelps, oder Kate Chopin arrangieren und behaupten müssen und welches Risiko ihre literarische Auseinandersetzung mit den sozialen Idealen und Ideologien mit sich bringt, nämlich ein gefährliches Oszillieren zwischen Selbstermächtigung und Selbstauslöschung. Schon dieses erste Interpretationskapitel („Zwischen Ohnmacht und Ermächtigung: Die ‚Frauenfrage‘ im Roman“) präsentiert eine eindrucksvolle literarische Bandbreite hinsichtlich sozialer Erziehung und gesellschaftlicher Erwartungshaltung in Bezug auf das weibliche Ideal der true woman vor und nach der Eheschließung. Alle Romane der hier ausgewählten Schriftstellerinnen zeugen von den gravierenden körperlichen wie seelischen Verletzungen, welche diese Idealvorstellung den jungen (Ehe)Frauen zufügt, wobei die Bewältigungsstrategien variieren: sprachlose Annahme in Whitneys Hitherto findet sich neben expliziter Rebellion in Stoddards The Morgesons; Auflehnung gefolgt von Selbstaufgabe sowie Auflehnung gefolgt von persönlicher Entfaltung stehen sich in Alcotts früher und später Version von Moods gegenüber; das Leiden und Warten auf die erlösende Emanzipation durch die Nachfolgegeneration in Phelps’ The Story of Avis kontrastiert mit dem Freitod als „konsequenter Akt der Selbstautorisierung“ (182) in Chopins The Awakening.

Kapitel 3 („Arbeit, Arbeiterin und Sozialreformerin: Literarische Reflexion wirtschaftlichen Wandels“) analysiert Rebecca Harding Davis’ Life in the Iron Mills und ihren wenig bekannten Roman Margret Howth, Alcotts Work, Phelps’ The Silent Partner und Mary Wilkins Freemans The Portions of Labor unter dem Aspekt der Repräsentation von Arbeit und der Figur der Arbeiterin. Mit diesem Kapitel liefert Matter-Seibel einen wichtigen Beitrag zu dem noch nicht hinreichend erforschten Themenkomplex Gender, Arbeit, und Industrialisierung in Frauenromanen. Allerdings übersieht sie Eva Bösenbergs Money and Gender in the American Novel, 1850-2000 (2010), eine einschlägige Untersuchung über Ökonomie und Genderdiskurs, die schon allein deshalb hätte erwähnt werden sollen, da sie auf methodische Schwächen der Fokussierung auf die Gattung des sentimentalen Romans aufmerksam macht (z.B. durch eine differenzierte neo-marxistische Herangehensweise und die auf Pierre Bourdieu zurückgreifende Unterscheidung verschiedener Formen von Kapital). Gleichwohl gestattet dieses Kapitel relevante Einblicke in derzeitige Forschungsinteressen, wie z.B. den Posthumanismus, eine neue Dinglichkeit im Zeitalter der Algorithmen, oder die Kritik an einem die sozialen Werte und die Demokratie verdrängenden neoliberalen Kapitalismus: während Davis und Phelps beklagen, dass der Mensch im Zeitalter der Industrialisierung immer mehr zur Maschine wird und die Maschinen immer menschenähnlicher, entwirft Alcott eine weibliche Utopie, in der Arbeit „ein Schritt auf dem Weg zu einem erfüllten Leben“ (274) ist; und Freeman lässt ihre Protagonistin ihre menschliche Würde allererst durch Arbeit realisieren. Dringen bei Davis und Phelps Kommerz und Profit auf schädliche Art und Weise in alle Lebensbereiche ein, gewährt Arbeit den Protagonistinnen von Alcott und Freeman Selbstvertrauen und Selbstbestimmtheit. Dennoch versehrt auch die Arbeit – wie das Ideal der true woman – den weiblichen Körper und Geist. Besonders die Frauenkörper der armen Arbeiterklasse sind durch vielfältige Gebrechen markiert, mitunter auch pathologisiert. Erschwerend kommt hinzu, dass Aufstiegschancen und Privilegien an Männlichkeit und Klasse, vor allem aber an Hautfarbe (race)und ethnische Zugehörigkeit gekoppelt sind. Trotz aller Kritik an Ungleichverteilung, Ausbeutung und den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen bleiben diese Autorinnen letztlich den Werten und Privilegien der Mittelschicht verpflichtet und meiden den revolutionären Arbeitskampf.          

Kapitel 4 („Moralische Instanz im Staatshaushalt: Die Literatur der Fürsprache“) und Kapitel 5 („Afroamerikanische Variationen“) fallen kürzer aus, entfalten aber mit ihren Genderperspektiven auf race einen besonders spannenden Dialog, der anschaulich die aktive politische Partizipation dieser Autorinnen am Zeitgeschehen aufzeigt und damit auch die Gratwanderung zwischen Transgression und Einhaltung der Ideologie der getrennten Sphären, die mit ihrem Schreiben verbunden ist. Matter-Seibels ausführliche Beschäftigung mit Harriet Beecher Stowes Uncle Tom’s Cabin ist insofern ertragreich, als die sorgfältig herausgearbeiteten rezeptionsästhetischen Strategien eindrucksvoll verdeutlichen, dass der Autorin das Hantieren mit dem sentimentalen Genre – insbesondere die Narrativen von Mutterschaft in einer matriarchalischen Utopie – erlaubt, den zentralen Gründungsmythos von Amerika als dem auserwählten Volk Gottes gleichermaßen hochzuhalten und umzuschreiben. Von Stowes programmatischer sentimentaler Typologie setzen sich Lydia Maria Childs A Romance of the Republic und Helen Hunt Jacksons Ramona als radikalere Plädoyers für Integration und Interkulturalität ab, wobei sie jedoch ebenso wenig wie Stowe von den (Rassen)Ideologien und Werten der weißen Mittelschicht abweichen.

Auch die afroamerikanischen Autorinnen Harriet Jacobs, Harriet E. Wilson, Frances Ellen Watkins Harper und Pauline Elizabeth Hopkins ringen mit den weißen Mittelschichtswerten: Jacobs in Incidents in the Life of a Slave Girl weit mehr als Wilson in Our Nig, während Harper in Iola Leroy und Hopkins in Contending Forces wiederum mehr Zugeständnisse an den weißen Teil der Leserschaft machenals Wilson. Dennoch legen alle Autorinnen wichtige Grundsteine für eine race literature, indem sie sich klar zu ihrer afroamerikanischen Identität bekennen. Stehen bei Jacobs und Wilson die körperlich-sexuellen und die damit verbundenen psychologischen Misshandlungen ihrer Protagonistinnen im Zentrum des Geschehens, unterstreichen Harper und Hopkins die emanzipatorischen und korrektiven Aspekte von Ehe, Mutterschaft und Familienverbund. Dabei bedienen sich letztere einer anti-patriarchalen, dennoch aber nationalen „Missionierungs- und Zivilisationsrhetorik“ (541).

Es wäre wünschenswert, wenn Matter-Seibels Studie Contending Forces die ihr gebührende Aufmerksamkeit in Forschung und Lehre auch jenseits der deutschen Amerikanistik erlangte. Trotz der Breite der Studie sehe ich sie als Teil einer umfangreicheren Forschungsarbeit, die insbesondere unter Einbeziehung der literarischen Vorgängerinnen weiter geführt werden sollte, sodass die in den einschlägigen amerikanischen Darstellungen von Susan K. Harris (Nineteenth-Century American Women’s Novels, 1990), Dorri Beam (Style, Gender, and Fantasy in Nineteenth-Century American Women’s Writing,2010) und Shirley Samuels (Sentimentalism and Domestic Fiction,2012), sowie in den hierzulande etwa von Susanne Opfermann (Diskurs, Geschlecht und Literatur,1996) und Barbara Buchenau (Der frühe amerikanische historische Roman im transatlantischen Vergleich,2002) vorgelegten Erkenntnissen im Hinblick auf die Dialogizität der weiblichen Romantradition vervollständigt werden könnten. Es gilt nämlich noch immer, dass die intellektuellen und ästhetischen Leistungen der amerikanischen Autorinnen des 19. Jahrhunderts nicht adäquat gewürdigt werden – gerade im sentimentalen Genre.

 

 

Oldenburg,                   Michaela Keck