CHRISTOF MAUCH UND RÜDIGER B. WERISCH (Hg.; unter Mitarbeit v. Angelika Möller), USA-Lexikon. Schlüsselbegriffe zu Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Geschichte und zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen (Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2013), 1334 pp.
Amerikastudien/ American Studies 60.2/3
Nachdem das von Rüdiger Wersich herausgegebene USA-Lexikon Mitte der 1990er Jahre erstmals publiziert worden war, konnte es sich rasch einen sichtbaren Platz im Feld der deutschsprachigen Referenzhandbücher zu Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der Vereinigten Staaten erobern. Exemplare standen in den Regalen zahlreicher Universitäts- und Stadtbibliotheken ebenso wie in Einrichtungen der Erwachsenenbildung, einzelne Beiträge fanden nicht selten ihren Weg auf die Literaturlisten von Handouts, die Studierende zu ihren Referaten einreichten. Vor diesem Hintergrund ist es verdienstvoll, dass Wersich und sein neuer Mitherausgeber Christof Mauch die Mühe auf sich genommen haben, nach beinahe zwei Jahrzehnten eine Neuauflage des Lexikons zu realisieren.
Das gilt umso mehr, weil sich seit der Erstausgabe viele Rahmenbedingungen geändert haben: Erstens hat sich durch das Internet die Dichte sowie die Geschwindigkeit, mit der Informationen bereitgestellt, abgerufen und verarbeitet werden, grundlegend gewandelt. Ein Buch mit über 500 Einträgen auf über 1.300 Seiten ist in Zeiten, in denen man einen Wikipedia-Beitrag jederzeit im Bus lesen und auf ein Endgerät speichern kann, nicht nur ein verlegerisches, sondern auch ein konzeptionelles Wagnis. Zweitens hat sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit den USA seit Mitte der 1990er Jahre verändert. In der Geschichtswissenschaft sind traditionelle Schwerpunkte auf ‚große Politik‘ und deutsch-amerikanische Beziehungen de-zentriert worden, Gesellschaft und Kultur haben als Untersuchungsgegenstände deutlich an Bedeutung gewonnen. In der Politikwissenschaft stehen heute Strukturen, Organisationen sowie Akteure im Zentrum des Interesses, die ausdrücklich jenseits traditioneller Vorstellungen von einem als homogen begriffenen politischen Systems wirkmächtig sind. Und in den Literaturwissenschaften haben u.a. feministische und postkoloniale Ansätze auch hierzulande dem etablierten Kanon ein Ende bereitet. All diese und weitere Entwicklungen haben sich auch an den Universitäten niedergeschlagen, wie sich an einer Vielzahl von Studiengängen mit innovativen Ausrichtungen ablesen lässt. Darüber hinaus hat sich, drittens, der Charakter sowie der Stellenwert der intellektuellen Beschäftigung mit den Vereinigten Staaten im Verlauf der Jahre nach Ende des Kalten Kriegs verschoben. Mit der zunehmenden Globalisierung konkurrieren die USA nunmehr stärker als vorher um ihren Rang als die Gesellschaft, an welcher sich große Teile der westeuropäischen oder deutschen Bevölkerung abarbeiten, sei es affirmativ oder in Opposition. Das öffentliche Interesse an den USA ist in der Bundesrepublik nach wie vor groß, heute aber weit weniger selbstverständlich als es noch vor 20 Jahren war.
Vielen dieser Trends versucht das USA-Lexikon durch äußere und innere Neuausrichtungen Rechnung zu tragen. Neben der gedruckten Ausgabe ist das Lexikon auch als E-Book erschienen, darüber hinaus bietet der Schmidt Verlag online eine Datenbank mit umfangreichen Suchfunktionen an, die den Nutzen des Werks signifikant steigern. Der Anschluss ans digitale Zeitalter ist also vollzogen, allerdings zu hohen Kosten: Der Ladenpreis der gebundenen Ausgabe liegt mit € 128,00 deutlich jenseits dessen, was sich Privatpersonen leisten können, und die kostenpflichtigen online Angebote sind in diesem Preis noch nicht enthalten. Man wird abwarten müssen, inwieweit das Lexikon trotz dieser Preisgestaltung seine alte Sichtbarkeit und seinen alten Einfluss bei sinkenden Bibliotheksetats wird aufrecht erhalten können.
Auch inhaltlich, bei Auswahl und Breite der Beiträge, hat sich das Lexikon aus Anlass der Neuauflage gewandelt. Die Herausgeber haben sich von vielen Einträgen zu Stichworten verabschiedet, zu denen hinreichende und verlässliche Informationen heute sehr viel rascher verfügbar sind als über ein Lexikon; einige dieser Hinweise bspw. zu Institutionen und Organisationen sind in die online-Datenbank ausgelagert worden. Stattdessen bringen neu aufgenommene Stichworte insbesondere gesellschaftliche, politische und kulturelle Entwicklungen in den USA der letzten Jahre zum Ausdruck. Hervorzuheben sind dabei vor allem neue oder auch neu strukturierte Beiträge zu Aspekten aus den Bereichen Religion, Verkehrswesen und Populärkultur. Auffällig ist ferner der gleichfalls neu hinzugekommene Akzent auf Umweltfragen, der eine kritische Leerstelle der ersten Ausgabe aufhebt.
Beibehalten haben Mauch und Wersich ihr Augenmerk auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen in Geschichte und Gegenwart. Dagegen ist natürlich grundsätzlich gar nichts einzuwenden, zumal die Einträge etwa zur Berlin Krise, zum German American Bund, zum Marshall Plan oder zum RIAS Rundfunk ohne Frage die gleiche informative Dichte bei hoher Qualität aufweisen, die auch die große Mehrheit der Beiträge insgesamt auszeichnet. Zugleich ist die Kontinuität dieses Schwerpunkts im Lexikon aber auch ein Indiz dafür, dass die beiden Herausgeber auf ihrem Weg entlang aktueller Entwicklungen hin zu konzeptionellen Neuausrichtungen zu zögerlich bleiben. Statt ihren Leserinnen und Lesern konsequent die veränderten Fragestellungen von Nordamerikastudien im Wandel vorzustellen und sie mit deren vielfältigen und durchaus kontroversen Ergebnissen zu konfrontieren, orientieren sich die Herausgeber zu sehr an traditionellen Vorannahmen und Leseerwartungen eines deutschen Publikums. Unterstrichen wird dies etwa durch die Wahl des Worts „Schlüsselbegriffe“ zur Kennzeichnung der aufgenommenen Beiträge. „Schlüsselbegriffe zu Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Geschichte…“ heißt es im Untertitel des Lexikons, und man wünschte sich, Mauch und Wersich hätten das in ihrer Einführung zum Lexikon weiter erläutert. Stattdessen stellt sich leichte Verwunderung ein – Harley-Davidson ist ein „Schlüsselbegriff“ zum Verständnis der USA, ebenso wie Denazification, Holidays und Trucking, wohingegen man etwa bspw. Einträge zu Gender, Sexuality, Borderlands, Empire, Black Atlantic oder Diaspora vergeblich sucht; Informationen zu diesen grundlegenden Aspekten muss man jeweils anderen, verstreuten Beiträgen entnehmen. Kombiniert mit der alphabetischen Ordnung des Lexikons hat das bisweilen bizarre Konsequenzen. Race ist auch kein „Schlüsselbegriff“, Race relations aber schon, und die Autorin des entsprechenden Beitrags ist auch sehr erfolgreich darin, der Komplexität ihres Themas auf zweieinhalb Seiten (917-919) gerecht zu werden. Liest man weiter, folgen anschließend drei Einträge zum Radio und zu einzelnen Sendern, zusammen gut fünf Seiten (919-924). Derart umgesetzt bleibt der Eindruck einer verpassten Chance zurück, der sich womöglich bereits durch eine stärkere Gewichtung der einzelnen Beiträge hätte vermeiden lassen.
Aber natürlich tut diese Kritik dem Buch auch in vielerlei Hinsicht unrecht. Seine klaren Stärken liegen in der Breite und Qualität seiner über 500 Beiträge, allesamt von ausgewiesenen Expertinnen und Experten verfasst und gespickt mit zahllosen ebenso wertvollen wie interessanten Informationen. Auch wenn sich dieser Rezensent etwas mehr Mut von den Herausgebern gewünscht hätte, ändert das nichts daran, dass ihnen Dank dafür gebührt, dieses wichtige Referenzhandbuch neu aufgelegt zu haben.
Köln, Olaf Stieglitz