DANIEL NAGEL, Von republikanischen Deutschen zu deutsch-amerikanischen Republikanern: Ein Beitrag zum Identitätswandel der deutschen Achtundvierziger in den Vereinigten Staaten 1850-1861 (St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag, 2012), 619 pp. Reviewed by Charlotte A. Lerg
Amerikastudien / American Studies 59.1 (2014)
“Im Rückblick erscheint es zwangsläufig, dass sich die Achtundvierziger früher oder später einer amerikanischen Partei anschließen mussten. Zu Beginn der 1850er Jahre war die Situation aber keineswegs so eindeutig” (73). Daniel Nagel legt eine Studie vor, die als wertvoller Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der deutsch-amerikanischen Identität—vor allem der politischen Mentalität—vor dem Bürgerkrieg gelten darf. Der vielleicht etwas lang und umständlich geratene Titel deutet einen Prozess an: Der Weg deutscher Achtundvierziger in die amerikanische Politik steht im Mittelpunkt der Studie. Mit seinem Fokus auf genau der Dekade (1850-1861), die sonst in der deutsch-amerikanischen Historiographie gern in einem kurzen Absatz abgehandelt wird, argumentiert der Autor auf gut sechshundert Seiten (inklusive Anhang) erfolgreich gegen zwei in der Forschung virulente Stereotypen. Er zeigt auf, dass der Weg in die Republikanische Partei, in der viele der Revolutionäre von 1848 im amerikanischen Exil letztendlich ein zu Hause fanden, sehr viel komplexer war, als es im Nachhinein erscheinen mag. Außerdem widerspricht er vehement der älteren, aus der Hochzeit der Carl Schurz Forschung stammenden These, dass nur anglisierte und assimilierte deutsche Einwanderer wirklich Erfolg in der amerikanischen Politik haben konnten.[1] Die Assimilierungsvoraussetzung mag für die Wahrnehmung von außen—von Seiten der Anglo-Amerikaner—stimmen, so Nagel, berücksichtigt wird jedoch nicht, “dass es den meisten Achtundvierzigern nicht möglich war, ihre Ethnizität willentlich aufzugeben” (399).
Nagel geht sogar noch weiter und stellt die These auf, dass ihr Weg in die amerikanische Politik für die deutschen Einwanderer der 1848er Revolutionsgeneration ein entscheidender Moment in der Entwicklung ihrer ethnischen Identität war und diese “Ethnisierung des politischen Engagements als Ausweg aus der drohenden Bedeutungslosigkeit” gesehen werden kann (164). Die ewige Angst, nicht mehr als “Stimmpfeifen” (138) zu sein, spielte dabei ebenso eine Rolle wie inhaltliche Stellungnahmen zu den Kernfragen der amerikanischen Innenpolitik Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, etwa der Exilpolitik, der Sklavenfrage, dem Homestead Act oder der Temperenzbewegung. Die Studie widmet sich jeder dieser Fragen ausführlich und so entsteht ein differenziertes Bild der Diskurse unter den politisch engagierten deutschen Exilanten und Auswanderern im Antebellum Amerika. Zur Aufgabe des Traums einer eigenen deutschen Nation gezwungen, wurde die Gruppenidentität der Deutsch-Amerikaner, dank Massenauswanderung, für viele Achtundvierziger zu einem “Ersatzvolk” (202). Ähnlich hatte Günter Moltmann argumentiert, als er die Auswanderung als “Revolutionsersatz” für viele Deutsche ausmachte.[2]
“Nationalität,” so stellt Nagel fest, findet sich in der Quellensprache nicht selten in einem Zusammenhang, der eher unserem heutigen Konzept von “Ethnizität” entspricht (202). Für eine bessere Einordnung der zeitgenössischen Meinungen und der vorgebrachten Argumentationslinien wäre möglicherweise eine stärkere Anknüpfung an den anglo-amerikanischen Diskurs wünschenswert gewesen oder auch der punktuelle Vergleich mit anderen Einwanderergruppen, wie etwa den Iren. Die kulturelle Dimension der “Invention of Ethnicity” gerät etwas ins Hintertreffen, andererseits ist es gerade das Innovative an der vorliegenden Studie, wie Fragen von ethnischer Identität mit ideengeschichtlichen Ansätzen verknüpft werden.[3]
In seiner Quellenauswahl greift Nagel vor allem auf Zeitungen zurück, weil er diese als meinungsbildende “öffentliche Akteure” (28) im Diskurs versteht, die gleichzeitig Denkströmungen abbilden. Die Wahl dieser Quellenart ist zwar gerade für eine Studie zu Deutsch-Amerikanern nicht neu, beeindruckt jedoch in ihrer Vielfältigkeit und liegt angesichts der Fragestellung nahe. Für den als verwoben beschriebenen Prozess der Politisierung und Ethnisierung muss der deutschsprachigen Presse besondere Bedeutung eingeräumt werden. Die etwas knappe Reflektion zum Öffentlichkeitsbegriff lässt offen, wie sich die deutschsprachige Presse als Teilöffentlichkeit zur Gesamtöffentlichkeit der USA im neunzehnten Jahrhundert verhielt—und ob überhaupt von einer Gesamtöffentlichkeit gesprochen werden kann (vgl. 25-27). Indem der Autor zeitgenössische Briefwechsel und andere Egodokumente heranzieht, gelingt ihm dennoch eine vielschichtige Untersuchung von Mentalitätsgebilden, die auch ohne eine genauere Analyse der Rezeptionsebene auskommt.
Der umfangreiche Anhang, der Kurzbiographien und Stichworteinträge zu wichtigen Publikationen bietet, macht diese Studie neben den präsentierten Forschungsergebnissen auch als Handbuch für die Forschung zum republikanischen Lager der so genannten Achtundvierziger in den USA nutzbar. Als prominenten Akteur stellt Nagel den radikalen Publizisten Karl Heinzen heraus (vgl. z.B. 526). Seiner preußischen Heimat verwiesen, war er über Belgien, die Schweiz und Großbritannien nach Amerika gekommen, wo er sich in seinen verschiedenen deutschsprachigen Periodika kritisch und entschieden zum politischen Geschehen äußerte (vgl. 572). Die Analyse seiner Schriften liefert eine besonders interessante Ergänzung zur Forschung. Heinzen lässt sich nicht klar in eine der üblichen Strömungen einordnen und hatte sich gar mit den klassischen Vertretern, die das politische Denken der deutsch-amerikanischen Achtundvierziger beeinflussten (Karl Marx, Friedrich Hecker, Gustav Struve, Wilhelm Weitling), überworfen (vgl. 135). Entscheidend ist hier die Feststellung, dass republikanische Achtundvierziger wie Heinzen, hier oft auch etwas verallgemeinernd als “demokratische Republikaner” bezeichnet, in das politische System der USA hinein drängten und es nicht—wie zumeist die kommunistisch geprägten Republikaner “unterminieren” wollten (99). Auch in anderer Hinsicht widersprachen die Vorstellungen von Heinzen und anderen demokratischen Republikanern den kommunistischen Idealen. Nicht eine überethnische Arbeiterpartei war ihr Ziel, sondern eine spezifisch deutsche Identität unter den Immigranten, die auch als eine politische Identität verstanden werden sollte (vgl. 127). Heinzen setzte sich beispielsweise für eine “teutsche Universität” in Amerika ein (133) und hoffte, seine “Plattform teutscher Sozialisten” könnte zum politischen Partner der Free Soiler Partei aufsteigen (132). Vor allem sollte die den Deutschen nachgesagte Theorieschärfe dem praktischen politischen Handeln in den USA Tiefe verleihen. (vgl. 135). So sind es auch Heinzens Schriften, mit denen Nagel seine These von der Ethnisierung des politischen Selbstverständnisses besonders anschaulich belegen kann, obgleich es ihm auch gelingt, sie in den Schriften anderer Akteure umfassend und überzeugend nachzuweisen (z.B. bei Friedrich Hassaureck, Christian Esselen, Franz Löhrer oder Adolph Douai).
Nativistische Tendenzen bei den Republikanern, und vor allem in deren Vorgängerparteien, stellten die deutsch-amerikanischen Akteure vor ein Dilemma (vgl. 421). Gleichzeitig hielten sich die Deutschen für kulturell und intellektuell überlegen und fühlten sich berufen, das Land der “Baumwolle ohne Ideen,” wie der prominente Achtundvierziger Friedrich Kapp sich ausdrückte, zu missionieren (199). Kulturchauvinismus und Bildungsdünkel, der bei Heinzen wie bei vielen der akademisch ausgebildeten Achtundvierziger vorhanden war, kommentiert Nagel nicht näher.
Die Studie hat mit einer Ungenauigkeit umzugehen, die leider in der gesamten Forschung zum amerikanischen Exil der deutschen Revolutionsgeneration immer wieder zu Tage tritt. Wer sind sie genau, die Achtundvierziger? Handelt es sich nur um diejenigen, die nach oder während der Revolution flohen oder sollte man auch jene dazurechnen, die beispielsweise schon die Karlsbader Beschlüsse in die Auswanderung gezwungen hatte? Was ist mit denjenigen, die nach einem kurzen Aufenthalt jenseits des Atlantiks nach Deutschland zurückkehrten? Nagel nähert sich diesem Problem, indem er eine “gemeinsame politische Vergangenheit als deutsche Republikaner” zur Prämisse macht (200). Auf diese Weise löst er die definitorische Bedeutung des Jahres 1848 auf, läuft jedoch Gefahr, eine Homogenität in der politischen Grundeinstellung seiner Akteure anzunehmen, die es zu hinterfragen gilt. Nagel thematisiert in diesem Zusammenhang ausführlich die Konflikte unter den Deutschen im Antebellum Amerika, deren Uneinigkeit er gar als “charakteristisch” sieht (63), wie etwa die Konflikte zwischen den verschiedenen Einwanderergenerationen, den sogenannten “Grauen” und den “Grünen” (142). Auch die dominante Rolle der New Yorker Staatszeitung, die bis zum Bürgerkrieg klar die Demokraten unterstützte, verschweigt er nicht (vgl. 78). Der Fokus der Studie aber liegt auf denjenigen, die sich nicht den Demokraten anzuschließen vermochten. Den endgültigen Bruch, so Nagel, brachte der Kansas-Nebraska-Act (vgl. 216).
In seiner differenzierten Beschreibung des politischen Bewusstseins der republikanischen Deutsch-Amerikaner droht Nagel zuweilen aus den Augen zu verlieren, dass die Parteienlandschaft in den USA als Ganzes in jener Zeit stark im Umbruch war. Nicht nur die deutschen Exilanten suchten jenseits der Demokraten zwischen Immigrationspolitik, Sklavenfrage, Homestead Act und Temperenzbewegung politische Anbindung. Ihr politischer Reifeprozess koinzidiert mit dem Werden der Republikanischen Partei—eine Kausalität wird hier nicht explizit angenommen, schwingt in der Argumentation Nagels jedoch stellenweise mit.
Ein weiterer verdienstvoller Beitrag der Studie liegt in der Analyse des Republikverständnisses, das in unterschiedlicher Ausprägung die Achtundvierziger in ihren politischen Entscheidungen antrieb. In ihrer Auslegung des Konzepts waren die europäischen—oder, etwa im Falle Heinzen, gar die deutschen—Wurzeln klar erkennbar. Anders als in der amerikanischen Tradition stand die Soziale Frage im Zentrum und der Autor legt anschaulich dar, wie dies die deutsche Einstellung zur Sklaverei oder zur Free Soil Politik beeinflussen musste (vgl. z.B. 280). Es überrascht nicht, dass die im deutschen Vormärz gereiften Republikaner von den amerikanischen Realitäten ernüchtert waren (vgl. 163). Nagel erkennt richtig, dass viele enttäuschte Achtundvierziger bei ihrer Ankunft in den USA monierten, der “Geist der Gründerväter” habe sich verflüchtigt (199). Der Autor berücksichtigt jedoch nicht, dass diese Einschätzung sowohl im amerikanischen Diskurs selbst als auch schon im deutschen Diskurs des Vormärzes mit Blick auf die USA verbreitet war, gerade unter den Nichtrepublikanern—prominent etwa bei dem liberalen Staatswissenschaftler Robert von Mohl. Weibliche Akteure finden so gut wie keine Erwähnung. Möglicherweise lässt sich diese Auslassung mit der Quellenauswahl und dem stärker ideengeschichtlichen als kulturgeschichtlichen Ansatz erklären. Dennoch stellt sich die Frage, warum die Thematik der Frauenrechte, die im politischen Diskurs jener Zeit durchaus präsent war (Seneca Falls Convention 1848), offenbar für die deutsch-amerikanischen Republikaner keine Rolle spielte.
Abschließend jedoch lässt sich sagen, dass das Buch zweifellos einlöst, was der Untertitel verspricht. Es ist ein nicht zu vernachlässigender “Beitrag zum Identitätswandel der deutschen Achtundvierzieger.” Gerade die umfassende ideengeschichtliche Analyse unterschiedlicher politischer Themenfelder ermöglicht es Nagel Entwicklungsprozesse, Querverbindungen und unterschiedliche Prägungen im politischen Bewusstsein der Deutsch-Amerikaner vor dem Bürgerkrieg neu zu beleuchten und überzeugend darzustellen.
München, Charlotte A. Lerg
[1] Vgl. Carl Wittke, Refugees of Revolution. The German Forty-Eigthers in America (Philadelphia: U of Pennsylvania P, 1952); John A. Hawgood, The Tragedy of German America (Ann Abor: G.P. Putnam’s Sons, 1940).
[2]Günter Moltmann, “Auswanderung als Revolutionsersatz,“ Die Deutsche und die Revolution. 17 Vorträge für die Ranke Gesellschaft, Ed. Michael Salewski (Göttingen: Musterschmidt, 1984): 272-97.
[3] Vgl. Kathleen Neils Conzen et al., “The Invention of Ethnicity: A Perspective from the U.S.A.,“ Journal of American Ethnic History 12.1 (1992): 3-41.