Linford D. Fisher, The Indian Great Awakening: Religion and the Shaping of Native Cultures in Early

America (Oxford/New York: Oxford UP, 2012, 2014), 312 pp.

Amerikastudien / American Studies 61.2

 

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Im Zentrum der anregenden Studie des an der Brown University lehrenden Historikers Linford Fisher stehen die unterschiedlichen und facettenreichen Modi, mit denen Native Americans im südöstlichen Neuengland zwischen 1700 und 1820 dem christlichen Glauben begegneten, ihn ablehnten oder annahmen und auf ihre ganz eigene Art modifizierten. Dabei stellt Fisher die Selbstbestimmung („agency“) der Native Americans ganz in den Mittelpunkt seiner Analyse, die auf einer beeindruckend breiten und vielfältigen Quellengrundlage basiert.

Die ersten beiden Kapitel konturieren die historischen Hintergründe und Rahmenbedingungen, vor denen die Interaktionen zwischen Native Americans und den christlichen Kolonisten zu sehen sind. In Kapitel 1, Rainmaking, rekonstruiert Fisher die europäischen Bemühungen, das Christentum unter den Native Americans zu verbreiten, wobei er insbesondere John Eliot in den Blick nimmt. Es sei ihnen noch bis in die ersten Dekaden des 18. Jahrhunderts gelungen, ihre traditionelle Lebensweise beizubehalten, ehe dann in diesem Zeitraum die evangelistischen Bemühungen nochmals erheblich intensiviert worden seien. Eben diese Evangelisierungsbemühungen stehen im Zentrum des zweiten Kapitels. Es gelingt Fisher auf überzeugende Weise, die Komplexität dieses Prozesses der Auswahl, Aneignung und Ablehnung christlicher Glaubensinhalte darzustellen, die in hohem Maße durch den spezifischen soziokulturellen Kontext in Neuengland bedingt waren. In Übereinstimmung mit anderen Forschungsergebnissen der jüngeren Zeit – hier ist etwa an die Arbeiten von Felicity Jensz oder Rachel Wheeler zu denken – war es vor allem der Zugang zu Bildung, der den Übertritt zum Christentum attraktiv werden ließ. In diesem Zusammenhang ist auch das fünfte Kapitel von Bedeutung, in welchem Fisher das Bildungsbemühen nach der Erweckung analysiert. Der Bildungserwerb war stets mit dem Bestreben verbunden, hierüber eine gewisse Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit zu erhalten.

Im dritten Kapitel steht dann die Erweckung („awakening“) im Mittelpunkt des Interesses. Das titelgebende Indian Great Awakening sieht Fisher als das Resultat eines Zusammenwirkens von einerseits über dreißig Jahren Missions- und Evangelisierungsbemühungen und andererseits der wachsenden Anstrengungen der indianischen Gemeinschaften, „education, literarcy, and acceptance“ (S. 67) innerhalb der kolonialen Gesellschaft zu erwerben. Die eigentlichen Aneignungsprozesse werden von Fisher nuanciert und gründlich dargestellt, wobei er zu höchst aufschlussreichen Beobachtungen gelangt. So zeigt er etwa, dass die Interaktionen zwischen den christlichen Geistlichen und den indianischen Stammesgemeinschaften zu durchaus innovativen Glaubenspraktiken führten, wie z.B. zu lebhaftem Gesang oder anderen individuelle Ausdrucksformen während des Gottesdienstes.

Linford Fisher plädiert im vierten Kapitel für den Begriff „affiliation“, um die vielfältigen Erweckungserfahrungen von Native Americans, zu beschreiben. Im Gegensatz zur religiösen Bekehrung („religious conversion“) sei „affiliation“ nämlich besser geeignet, die ganze Handlungspalette der Reaktionen im Kontext des Indian Great Awakening  abzubilden, zumal man ungeachtet eines insgesamt gewachsenen Interesses am Christentum zwischen verschiedenen Funktionen der Erweckung unterscheiden müsse: „For some individuals, the change was tangible and long lasting. For others, it was rather an experimentation with strategies for colonial survival“. (S. 106)

Im fünften Kapitel Separation behandelt Fisher die Gründung eigenständiger Gemeinden. Diese Abspaltungen ermöglichten es den American Indians, ihren Platz in der kolonialen Gesellschaft eigenständig zu bestimmen, dabei die Bindungen untereinander zu stärken und nicht zuletzt ihre religiöse Praxis selbst zu gestalten und sich somit vor einer Vereinnahmung durch die anglo-amerikanischen Geistlichen zu verwahren.

Die letzten beiden Kapitel untersuchen zum einen die in den 1750er Jahren beginnende Migration in den Westen Nordamerikas, zum anderen aber auch die Motive und Schicksale derjenigen, die sich entschieden hatten, in Neuengland zu bleiben. Wie stark Fisher dabei den Aspekt der „agency“ betont, wird am Ende des letzten Kapitels deutlich, wenn er hervorhebt, dass „the varying paths of the Native individuals and communities that made up the New England Indian landscape in the early nineteenth century represent the diversity of decisions that Indians had been making for two centuries.“ (S. 211)

Insgesamt ist Fishers Studie eine überaus lohnende Lektüre, die vielfältige Anregungen, gerade auch in methodischer Hinsicht, bietet. So ist vor allem die Frage nach der religiösen Praxis der Native Americans, die sich zum Teil nur recht mühevoll aus den unterschiedlichen Quellen herauspräparieren lässt, durchaus nachahmenswert. Man hätte sich an einigen Stellen jedoch einen Blick auf weitere indianische Stämme in Neuengland gewünscht, um die hier gezeigten Ergebnisse besser vergleichen, beziehungsweise noch stärker kontextualisieren zu können.

Die Kommunikation der christlichen Botschaft findet nie in einem Machtvakuum statt, und dies gilt wohl in besonderemr Maße für die Missions- und Evangelisierungsbemühungen in einem kolonialen Setting, wie sie Fisher in seiner Studie analysiert. Hinter diese methodisch einfühlsame und quellenreiche, überlegt und nuanciert argumentierende Arbeit sollten künftige Studien jedenfalls nicht zurückfallen.

Benedikt Brunner (Bonn)