Peter Nicolaisen and Hannah Spahn, eds., Cosmopolitanism and Nationhood in the Age of Jefferson (Heidelberg: Winter, 2013), viii + 256pp.

Amerikastudien/ American Studies, 62.4

 

 

Die Aufsätze, die hier zusammengetragen sind, basieren auf einer Konferenz, die zusammen mit dem Robert J. Smith International Centre for Jefferson Studies in Charlottesville, VA, vom John F. Kennedy Institut an der Freien Universität in Berlin organisiert wurde. Die Thematik ist durch den Titel vorgegeben. Neben einer Einleitung der Herausgeberin Hannah Spahn enthält der Band acht Beiträge, die eingerahmt sind durch einen allgemeineren Vortrag des US-amerikanischen Historikers Gordon S. Wood über „The Invention of the United States“ (23-41) und einem Epilog des gleichfalls in den USA beheimateten Historikers Peter S. Onuf zum Konferenzthema (S. 239-254). Wood[1] und Onuf[2] gehören zu den bekanntesten Historikern der US-amerikanischen Revolutionsgeschichte. Bedauerlicherweise beschränken sich beide auf Altbekanntes; und selbst da greift Wood gelegentlich daneben — etwa mit seiner Behauptung, dass die Benennung „Americans“ von den Briten 1775/76 erfunden worden sei; er nimmt dies auch als Beleg dafür, dass im Jahr der Unabhängigkeitserklärung die Kolonisten noch nicht zu einer eigenständigen Identität gefunden hätten (S. 25). Offensichtlich kennt er nicht die vielfältigen Ergebnisse und Thesen der Studie von Richard Merritt, der nachweist, dass die Kolonisten sich schon seit den 1740er Jahren in ihren Zeitungen „Americans“ nannten und Historiker der Kolonialzeit daraus richtig schlossen, die US-amerikanische Identität mit Nordamerika habe sich deutlich vor dem Siebenjährigen Krieg ausgebildet.[3] Überdies streift Wood die für die Konferenzthematik zentrale Problematik der regionalen, kolonialen und postrevolutionären Identitäten (S. 26) nur am Rande und thematisiert deshalb auch nicht die Problematik der Bewohner in den späteren Vereinigten Staaten als „Americans“ und Bürger ihrer Staaten. Meine eigenen Studien deuten darauf hin, dass sich der Amerikaner zuerst als Bewohner seines Staates, in zweiter Linie als Bewohner einer Region wie Neuengland oder den Süden und erst in dritter Linie als Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika verstand. Die mangelnde Tiefenschärfe bei der Erörterung der Problematik nationaler, einzelstaatlicher, regionaler und lokaler Identitäten weist auf ein Grundproblem dieser Aufsatzsammlung hin: Aus der Sicht des Historikers fehlt ihr zu oft die historische Präzision und Tiefendimension. Dass die Beiträge darüber hinaus die konfessionelle Bindung der Bürger ausblenden, die im achtzehnten wie im neunzehnten Jahrhundert einen wichtigen Aspekt ihrer eigenen Identitätsbildung ausmacht, überrascht nicht.

 

Möglicherweise ist dieses Defizit der Thematik des Bandes geschuldet: Die Begriffe „Cosmopolitanism and Nationhood“ stehen für zwei Konzepte, die sich in der Historikerzunft, soweit sie sich auf geistesgeschichtliche Themen konzentriert, großer Beliebtheit erfreuen. Allein der Göttinger Universitätskatalog wirft zu dem Thema „national identity“ für die Zeit von 2000 bis 2015 mehr als 950 Titel (Monographien und einzelne Artikel) aus.[4] Geschärft wird die von diesen Begriffen ausgehende Faszination durch die von J. G. A. Pocock gepflegte Methode der assoziativen Argumentation, in der sich geisteswissenschaftliche Konzepte unversehens zu Konstrukten vermeintlicher Abbilder der Gedankengänge ihrer Untersuchungsgegenstände ausformen. Dies führt dazu, dass „Cosmopolitanism“ als Ideal des Weltbürgers jenseits der historischen Wirklichkeit sein Eigenleben annimmt, ohne dass danach gefragt wird, wieweit sich in der konkreten Welt diese Idee bei den Zeitgenossen ausbreitete und Wirkung entfaltete.

 

Zweifellos spielte in der kleinen Schar der radikalen Republikaner, die den atlantischen Dialog zwischen 1775 und 1795 bestimmten, das Konzept des „Cosmopolitanism“ eine wichtige Rolle – aber darüber hinaus? Die Datenbank „America’s Historical Newpapers“ produziert für die Zeit von 1775 bis – 1800 zu dem Begriff „Cosmopolitan“ ganze 13 Belege, von denen sich überdies drei auf das Schiff „Cosmopolitan“ beziehen. Dieser Befund deutet wahrlich nicht auf eine besondere Bedeutung, Beliebtheit oder Verbreitung des Gedankens des Weltbürgertums in Nordamerika hin.

Mit diesen kritischen Anmerkungen soll jedoch nicht der zum Teil vorzügliche intellektuelle Gehalt einzelner Beiträge geschmälert werden. Deren Ziel war es nicht, die konkrete historische Verankerung und Verbreitung der beiden Grundbegriffe zu skizzieren, weil dies zur Aufgabe von Woods einführendem Vortrag gehört haben mochte. Gewinnbringend und vorzüglich argumentiert ist die Diskussion von Armin Matthes über ‚„Une et indivisible‘? Thomas Jefferson and Destut de Tracy on the Idea of the Nation“ (41-73), in der der Autor die Bedeutung der „Föderation“ für Jeffersons Nationenbegriff herausarbeitet; differenzierend skizziert Thomas W. Clark das Verhältnis von Benjamin Rush zum „American Cosmopolitanism“ (75-91). Nach der Lektüre fragt sich der Leser allerdings, ob man hier überhaupt noch von „Cosmopolitanismus“ sprechen kann; anzumerken ist auch, dass zumindest in den Zitaten von Rush die Bedeutung von Religion für dessen Verständnis von „Cosmopolitanismus“ durchschimmert (S. 80).

 

Ähnliche Gedanken könnten dem Leser auch bei der Lektüre von Maurizio Valsania, „Beyond Particularism: Thomas Jefferson’s Republican Community“ (S. 93-111) kommen, vor allem, wenn man am Schluss Sätze wie den folgenden liest: „Just like the other real communities, the generation was for Jefferson the focus where individuals perceived the public good as their own, rising above their solitary individuality“ (S. 109). Dessen Aussagekraft wird dann einige Sätze weiter aufgefangen wird mit dem Zusatz:„Identifying with the generation and consequently with the ward, the state, the nation, or the world community definitively confutes every particularism“ (S. 110). Spätestens hier gesellt sich beim Rezensenten zu dem Verdacht, dass Jefferson möglicherweise doch kein Weltbürger war, die antike Erkenntnis, dass alles ineinander fließe. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Darlegungen von Hannah Spahn in „Cosmopolitan Imperfections: Jefferson, Nationhood and the Republic of Letters“ (S. 113-135). Spahns Diskussion von Jeffersons Entwurf der Unabhängigkeitserklärung als „collective speaking subject by their ability to act as good citizens of the Republic of Letters“ (S. 131) demonstriert, welche überraschenden Befunde die Trennung von Textinterpretation und konkretem historischen Kontext zeitigen kann: Der erste Schritt zur Unabhängigkeit sei nur deshalb von den „Americans“ gewagt worden, so Spahn, weil sie „anticipated the outside viewpoint of a ‚candid world‘ on the conflict“ (ibid.). Diese Vorahnung habe ihnen zweitens erlaubt, sich die Perspektive ihrer „British brethren“ zu eigen zu machen. Die Liebe zu ihren britischen Brüdern habe es den Amerikanern ermöglicht, zu leiden, so lange Leiden möglich gewesen sei. Dass dies Leiden Grenzen habe, hätten sie immer wieder ihren Brüdern jenseits des Atlantiks erklärt. Aber so Spahn über die Unabhängigkeitserklärung Jeffersons: „the British had commited the greatest sin of the Republic of Letters“ (ibid.): Sie hörten die Klagen der Amerikaner nicht! Deshalb hätten sie sich selbst aus der Gemeinschaft von „communication of grandeur & of freedom“ mit den Amerikanern ausgeschlossen (S. 131-132). Für Jefferson sei Georg III. „the ultimate anticosmopolitan“ gewesen. Erst in dem Augenblick, als die Kolonisten diesem antikosmopolitischen „monster“ ihren Untertaneneid aufkündigten, wären sie in der Lage gewesen, sich selbst als „a collection of world citizens and as members of a new nation“ zu begreifen. (S. 132).

 

Der Rezensent erkennt in dieser Interpretation Versatzstücke der Unabhängigkeitserklärung, die in der Interpretation Spahns immer wieder die Rolle von Kronzeugen einnehmen. Er fragt sich aber doch, ob es ausreicht, mit derartigen Versatzstücken ein solches Schlüsseldokument der Amerikanischen Revolution zu erklären. Wird hier nicht ein Dokument aus seinem konkreten historischen Zusammenhang herausgelöst und für eine weitläufige internationale geisteswissenschaftliche Diskussion reklamiert, die kaum etwas mit der Geschichte der Amerikanischen Revolution zu tun hat? Wohlbekannt ist, dass Georg III. in der Unabhängigkeitserklärung zum Erzfeind der amerikanischen Kolonisten hochstilisiert wurde. Aber verstanden sich deshalb Jefferson, die anderen Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung und ihre Wähler als „world citizens“? Ergab sich das wirklich aus dem Appell an die atlantische Gemeinschaft? In der Unabhängigkeitserklärung gibt es zwei Stellen, die auf die Welt jenseits des Britischen Reiches verweisen: Im ersten Satz die Absichtserklärung, „to assume among the Powers of the earth, the separate and equal station“, zu der Naturrecht und „Nature’s God“ sie berechtige. Und im letzten Abschnitt der Appell „to the Supreme Judge of the World for the rectitude of our intentions“. Weder in der Unabhängigkeitserklärung insgesamt noch in diesen beiden Formulierungen kann ich einen Appell an die Weltbürger oder die Welt erkennen.

 

Damit aber stellt sich eine letzte Frage: Haben die Organisatoren der Konferenz eigentlich die richtige Frage gestellt: Hätten sie nicht den Konferenztitel und damit auch den Titel dieser Veröffentlichung „Cosmopolitanism and Nationhood in the Age of Jefferson“ zumindest mit einem Fragezeichnen versehen müssen? Einigen der Autoren kamen offensichtlich Zweifel an der im Titel implizierten These, dass die Idee einer amerikanischen Zugehörigkeit zum Weltbürgertum zum Kernbestand amerikanischen revolutionären Denkens gehörte oder in den USA viele Anhänger hatte. Unterschrieben amerikanische Revolutionäre wirklich als Weltbürger „the ideal of a united and harmonious political domain“ so, wie es die französischen Revolutionäre taten, wie Philipp Ziesche glaubt (S. 233)? Er selbst legt dies in seinem magnum opus nur für eine sehr kleine Gruppe von radikal-republikanischen Amerikanern nahe.[5] Und lässt sich der Satz im ersten Abschnitt der Unabhängigkeitserklärung, „that all men are created equal“ wirklich als Beweis dafür auslegen, dass die Unabhängigkeitserklärung eine „cosmopolitan dimension“ habe, wie Catrin Gersdorf (S. 219) und andere Autoren dieser Aufsatzsammlung glauben? Was wäre denn, wenn man diese Formel als Ausdruck christlicher Überzeugung, dass alle Menschen von Gott geschaffen worden seien, interpretierte, um dann mit biblischen Argumenten den Nachkommen von Ham die gleichen Rechte verweigern zu können – denn genau das taten nicht nur die Gründungsväter. Oder ist die Streichung der Argumente gegen die Sklaverei im ersten Entwurf Jeffersons nur eine „lässliche Sünde“ der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung und Jeffersons Billigung der Sklaverei wenig später und für den Rest seines Lebens nur ein winziger Flecken auf seiner ansonsten blütenweißen Weste? Und wenn schon diese Bedenken nicht nachdenklich stimmen, dann fragt man sich, wieso Jefferson als Secretary of State in seinem berühmten Bericht zum atlantischen Handel ebenso wie John Adams vor ihm nicht kosmopolitische, sondern merkantilistische Positionen bezogen.[6] Eine präzisere Verankerung der Diskussionen in den Beiträgen dieses Sammelbandes in der historischen Wirklichkeit hätte sicherlich solche und weiterführende Fragen aufgeworfen. Immerhin aber kamen sie dem Rezensenten und hoffentlich auch vielen Lesern.

 

 

Hermann Wellenreuther (Göttingen)

[1] Vor allem aufgrund von Gordon S. Wood, The Creation of the American Republic, 1776-1787, (Chapel Hill, NC: U of North Carolina P, 1988) und Derselbe, Empire and Liberty: A History of the Early Republic, 1789-1815 (Oxford: Oxford UP, 2009).

[2] Peter S. Onuf, The Origins of the Federal Republic: Jurisdictional Controversies in the United States, 1775-1787 (Philadelphia: U of Pennsylvania P, 1983); Derselbe, Statehood and Union: A History of the Northwest Ordinance (Bloomington, IN: Indiana UP, 1987); Derselbe, The Mind of Thomas Jefferson (Charlottesville, VA: U of Virginia P, 2007); Derselbe, Thomas Jefferson, the Classical World and Early America (Charlottesville, VA: U of Virginia P, 2011).

[3] Richard L. Merritt, Symbols of American Community 1735-1775 (= Yale Studies in Political Science, Bd. 16; New Haven, CT 1966).

[4] Für den Begriff „cosmopolitan“ zeigt der Katalog 215 Titel an.

[5] Philip Ziesche, Cosmopolitan Patriots: Americans in Paris in the Age of Revolution (Charlottesville, VA: U of Virginia P, 2010).

[6] Vgl. dazu meine Darlegungen in Von der Konföderation zur Amerikanischen Revolution: Der Amerikanischen Revolution 2. Teil, 1783-1796 (= Geschichte Nordamerikas in atlantischer Perspektive von den Anfängen bis zur Gegenwart Bd. 4; Berlin: LIT, 2016, Kap. 5-6).