Saskia Hertlein und Hermann Josef Schnackertz, eds., The Culture of Catholicism in the United States, American Studies – A Monograph Series 213 (Heidelberg: Winter, 2012), 396 pp.

Amerikastudien/ American Studies, 61.2

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Wie kann man gleichzeitig ein guter Amerikaner und ein guter Katholik sein? Diese Frage treibt katholische und nicht-,  ja antikatholische Amerikaner seit über 200 Jahren um: Auf der einen Seite die dogmatische, hierarische und autoritäre Institution der Kirche mit ihrem unfehlbaren Oberhaupt in Rom, der überdies absoluter Herrscher eines eigenen Staatswesens ist, auf der anderen Seite das selbsternannte neue auserwählte Volk Gottes mit seiner Tradition eines auf Protestantismus, Liberalismus, und englische Tradition gegründeten Demokratie- und Freiheitsverständnisses. Diese durch die katholischen Massenmigrationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zusätzlich angefeuerte aporetische soziokulturelle Grundkonstellation sorgt weiterhin, auch im 21. Jahrhundert, für gesellschaftspolitischen Zündstoff, obwohl die schlimmsten Konflikte, die sich im Laufe der Zeit immer wieder gewaltsam entluden, ausgestanden scheinen. Der Grunddissens zwischen Katholizismus und „Amerikanismus“ wurde noch bis 1965 durch die Spezifik der vor allem von Papst Leo XIII. und der Neuscholastik entwickelten katholischen Staatsdoktrin verschärft, nach der eine Trennung von Staat und Kirche nicht zuletzt in einem Staat mit katholischer Mehrheit nicht in Frage kam. Erst die Erklärung über die Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanischen Konzils hat diese kirchlich-naturrechtliche Selbstpositionierung der römischen Kirche  aufgehoben und damit faktisch einer Amerikanisierung der Weltkirche im Sinne einer kooperativen Trennung von Staat und Kirche ohne laizistische Ideologie den Weg gebahnt. Dennoch bleibt der Katholizismus aus mancherlei Gründen ein Fremdkörper im kulturellen Organismus der Vereinigten Staaten, wie der inhärente Antikatholizismus aktueller amerikanischer TV-Serien belegt. Eine mit herausragenden Kennern der Kulturgeschichte des amerikanischen Katholizismus besetzte Konferenz der Katholischen Universität Eichstätt unter Federführung des leider viel zu früh verstorbenen Kollegen Hermann Josef Schnackertz  und Saskia Hertleins hat sich dieser vielschichtigen Problematik angenommen und ihre Ergebnisse nun in einem profunden Sammelband vorgelegt. Leider fehlt dem Band eine systematische Historisierung dessen, was in der US-amerikanischen Geschichte eigentlich unter Trennung von Staat und Kirche verstanden wurde, und wie sich die katholische Kirche jeweils dazu verhielt.  Das 19. Jahrhundert kannte im Grunde keinen wall of separation, eine Doktrin, die erst seit 1948 die verfassungsrechtliche Basis für die kirchenpolitischen Entscheidungen des United States Supreme Court bildet. Für die katholische Kirche und den Katholizismus hatte dies ambivalente Folgen. Man profitierte einerseits von der Abkehr von identitätspolitischen Vorstellungen, die Protestantismus und amerikanische Freiheitstradition einfach gleichsetzten. Auf der anderen Seite engte die mehr und mehr auf Abgrenzung denn auf Kooperation setzende staatskirchenrechtliche Doktrin des obersten Bundesgerichts die Spielräume katholischer Selbstentfaltung ein. Doch davon später.

Nach einer knappen Einleitung, der es freilich an einer präzisen Definition, ja sogar überhaupt an einer Diskussion der beiden zentralen analytischen Termini „Culture“ und „Catholicism“ gebricht, beginnt der Band mit einem ausführlichen Überblicksartikel aus der Feder von Fr. Gerald P. Fogarty, SJ, einem der besten Kirchenhistoriker der USA.  Kenntnisreich, souverän und nuanciert führt der Jesuit in die Zeitgeschichte des amerikanischen Katholizismus von den ausgehenden 1950er Jahren bis zur Gegenwart ein. Er geht auf den sozialen Wandel innerhalb des Katholizismus, insbesondere auf die Suburbanisierung und ihre Folgen für das katholische Milieu ein.  Vollkommen zu Recht hebt Fogarty die problematischen Folgen hervor, welche der Wegzug der Mittelklasse in die Vororte der Großstädte für das interne Gefüge der überkommenen ethnischen Pfarreien, insbesondere der Iren, Hispanics, Polen, Italiener und Deutschen, hatte. Die­­ – mitunter triumphalistisch überhöhte – enge Bindung von Laien und Klerus verlor sich; der klerikale Nachwuchs blieb zunehmend aus. Hatte man um 1960 noch damit gerechnet, binnen weniger Jahrzehnte rund 100.000 Seminaristen in der Vorbereitung für das priesterliche Amt gewinnen zu können, so meldeten die Priesterseminare 2004 gerade einmal rund 4.300 Kandidaten, denen Fogarty etwas boshaft unterstellt, schlechter ausgebildet und weniger an intellektuellen Debatten interessiert zu sein als ihre Vorgänger, die gleichfalls bereits intellektuelle Defizite aufgewiesen hätten. Wer bereits einmal über längere Zeit in einer katholischen Pfarrei in den USA tätig war, weiß was der Pater meint. Breiten Raum nehmen die 1960er Jahre und allen voran das Zweite Vatikanische Konzil ein, das gewiss einen Höhepunkt amerikanisch-katholischer Einflussnahme auf die Weltkirche darstellte. Man denke nur an die Rolle, die Fr. John Courtney Murray, SJ – gemeinsam mit französischen und deutschen Theologen – bei  der Neuformulierung der Lehre von der Religions- und Meinungsfreiheit durch das konziliare Lehramt spielte. Nach der von Fogarty ausgelassenen Kontroverse zwischen Rom und Baltimore über den sogenannten Amerikanismus, einer kontinentalen Variante des europäischen Modernismus um die Wende zum 20. Jahrhundert, kam dies einer nachträglichen Rechtfertigung der damals zensierten Amerikanisten gleich. Aber der Jesuit bietet kein einhellig positives Narrativ. Weder verschweigt er die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen liberalen und konservativen Bischöfen oder innerhalb einer zusehends verunsicherten und politisch zersplitterten Laienschaft, beispielsweise über Friedenspolitik, soziale Fragen, Todesstrafe und Abtreibung, noch übergeht er die dramatischen Folgen des sexuellen Missbrauchsskandals eingangs des 21. Jahrhunderts. So entsteht ein abgewogenes Bild der gegenwärtigen Situation der römischen Kirche in den USA, als deren Hauptproblem der Universitätsprofessor Fogarty wohl kaum zufällig die Schwierigkeiten des katholischen Schul- und Universitätssystems mit seinen anhaltenden Identitätsdebatten sieht.

Auf den von Fogarty gelegten soliden Grundlagen bauen die anschließenden Beiträge dann auf. Markus Faltermeier etwa schließt in seinem  gedankenreichen Beitrag über den amerikanisch-katholischen Diskurs über Demokratie und Pluralismus direkt an Fogarty an, indem er die Frage aufnimmt, in welcher Form sich amerikanische Katholiken auf der Theorieebene mit der explizit demokratischen Struktur von Politik und Gesellschaft in den USA auseinandersetzten. Ausgangspunkt sämtlicher Überlegungen war die neuscholastische These-Hypothesen-Staatstheorie, wonach der naturrechtlich geprägte, katholische Staat die wesensmäßige These aller sittliche konformen Staatlichkeit sei, während der weltanschaulich neutrale, religiös gemischte Staat bestenfalls eine vorübergehend zu duldende Hypothese darstelle. Interessanterweise war diese Distinktion für die amerikanische Diskussion ungleich wichtiger als für die deutsche, wo ihr meines Wissens selbst in thomistischen Kreisen keine tragende Bedeutung zukam. In der Folge analysiert Faltermeier sorgfältig die Gegenpositionen des thomistischen Philosophen Jacques Maritain und des amerikanischen Theologen Fr. John Courtney Murray, SJ, dessen Überlegungen auf dem Konzil so wichtig waren. Während sich aber Maritain nur äußerst vorsichtig von Leo XIII. absetzte und sich dabei auf die neuscholastische Kunst der Unterscheidung  verließ, brach Murray ungleich radikaler mit der Thesen-Hypothesen-Theorie, indem er sie in mehrfacher Hinsicht durch einen Rückgriff auf die Patristik und durch eine Historisierung der Position Leo XIII. kontextualisierte und relativierte. Vor allem aber personalisierte Murray die dem Modell des Papstes zugrundeliegende Naturrechtslehre und gab ihr mithin ein situatives Antlitz. Aus einer statischen Natur wurde eine dynamische Natur. Diese situativ-dynamische Natur aber fand, so Murray, ihren besten (gegenwärtigen) Ausdruck in der amerikanischen Form der westlichen Demokratie. Es ist unbestreitbar Faltermeiers großes Verdienst, die notorisch hochkomplexen und subtilen Argumente Maritains und Murrays klar und systematisch dargestellt zu haben. Dennoch könnte man, aus einer neuscholastischen Perspektive mehrere Anfragen an Murray stellen: Auf einer fundamentalen Ebene bewegten sich Murrays historistische Argumente in einer Art Paradox, denn dieselbe Historisierung, mit deren Hilfe er die Position Leo XIII. kritisiert, könnte man gleichfalls auf Murrays Argument anwenden, vor allem wenn man bedenkt, dass in den 1950er und 1960er Jahren die von Murray imaginierte kooperative Trennung von Staat und Kirche in der amerikanischen Demokratie längst von einer Phase wachsender Konfrontation von Seiten des Supreme Court abgelöst wurde. An die Stelle der Idee einer organischen Staat-Kirche-Beziehung im Kontext der Idee der USA als christlicher Nation war längst die konfrontative Vorstellung vom wall of separation getreten. Schließlich sei   gegen Jay P. Dolan, auf den Faltermeier sich einmal direkt bezieht – nur kurz angemerkt,  dass das Apostolische Schreiben Testem Benevolentiae  Leo XIII. von 1897 nicht die Behauptung aufstellte, die katholische Kirche sei immun gegenüber jedweder historischen Veränderung, sondern einzig den Anspruch der amerikanischen katholischen Kirche verurteilte, ihr Weg sei der für die Weltkirche notwendige. All dies schmälert indes nicht den intellektuellen Gehalt von Faltermeiers konzisen Thesen.

Nicht minder wichtig ist der anschließende Beitrag Stephan Schnecks, der sich ebenfalls mit den Spezifika katholischer politischer Theorie im ganz anders gearteten Zusammenhang amerikanischer Politikvorstellungen befasst. Vollkommen zu Recht rückt er dabei einen wesentlichen Unterschied in den Mittelpunkt: Während katholische Ideen vom Proprium des Politischen stets das bonum commune der personal verfassten Gemeinschaft als organisches Ganzes anstreben, argumentiert die amerikanische Tradition seit den Gründervätern, zumindest in ihrem aufgeklärt-liberalen Spektrum (also abgesehen von der gleichfalls höchst lebendigen kommunitaristischen Traditionslinie), vom Handeln  egoistischer, interessengeleiteter Individuen her.  Während nun seitens der Päpste durchgängig am Primat des Gemeinwohls festgehalten wurde, hatte sich der amerikanische Katholizismus – ein weiteres Paradox seiner Entwicklung – trotz quantitativen Wachstums zunehmend in Richtung der liberal-individualistischen Staatstheorie bewegt, ohne gleichwohl diesen fundamentalen Widerspruch hinreichend zu reflektieren. Schneck führt diese Entwicklung einerseits generell auf die wachsende Assimilation amerikanischer Katholiken zurück, andererseits sieht er sie als spezielle Folge des durchaus gewollten politischen Engagements von Episkopat, Klerus und Laien in den USA. Einen gewissen Höhepunkt erreichte dieser „amerikanistische“ Konformismus  als „konservative“ Katholiken in den 1980er Jahren ganz offen die gemeinwohlorientierten sozialpolitischen Äußerungen des Episkopats in Frage stellten und sich davon distanzierten. Im Rückgriff auf Faltermeiers Beitrag könnte man von einem weiteren, problematischen Erbe Fr. Murrays sprechen, dessen politischer Liberalismus und Modernismus von einem klaren Abrücken von der sozialmoralischen Tradition der Kirche begleitet war. Damit wurde der inhärente Antikapitalismus der katholischen Soziallehre nicht lediglich modifiziert, sondern komplett ausgestrichen, was sich heute konservative, vorgeblich kirchentreue Katholiken zunutze machen, um ihr eigenes kapitalistisches Weltbild gegen die authentische und autoritative Lehre der Kirche zu immunisieren.  Schneck wirft sehr berechtigt die Frage auf, wie dieser modernistische Amerikanismus gegenwärtiger „konservativer“, im Grunde aber altliberaler Katholiken sich zum ausgesprochen traditionellen, kritischen sozialpolitischen Verständnis Benedikt XVI., der in seiner Sozialenzyklika Deus Caritas Est neben St. Thomas von Aquin vor allem den sozialpolitisch wohl progressivsten Papst des 20. Jahrhunderts, Paul VI., und dessen Enzyklika Populorum Progressio zitiert, zukünftig verhalten mag. Diese Anfrage ist seit dem Beginn des Pontifikats von Papst Franziskus und seiner Enzyklika Laudato Si, die ja deutlich mehr ist, als „nur“ eine Umweltenzyklika, sondern gleichfalls die Gemeinwohlorientierung der traditionellen, thomistischen katholischen Soziallehre in äußerst radikaler Gestalt wieder aufnimmt, noch dringlicher geworden. Vielleicht bieten die theologischen Rückbesinnungen dieser beiden Päpste dem amerikanischen Katholizismus die dringend notwendige Chance, sich gleichermaßen vom liberalen Individualismus, von der Apologie des Kapitalismus und der Fixierung auf individualmoralische Probleme, wie etwa die Abtreibungsdiskussion, zu lösen und sich aus der Rezeption des Erbes der Tradition intellektuell neu zu erfinden.

Mitten in dieser spannungsreichen und bedeutsamen Debatte steht auch der Beitrag des reformiert-kongregationalistischen Geistlichen Clifford Frazier, der sich mit dem lange randständigen Catholic Worker Movement, einer durch Dorothy Day und Peter Maurin vom französischen Personalismus beeinflussten linkskatholischen Gruppe aus der Arbeiterschaft beschäftigt. Der Autor nähert sich dem Phänomen auf eine eher persönliche Art und Weise, dennoch gelingt es ihm überzeugend, die ganz eigentümliche synthetische Leistung Days und ihrer Bewegung vor dem Hintergrund des religiösen Pluralismus in den USA darzustellen. Neben dem Personalismus Emmanuel Mouniers hatte Day nämlich unter anderem das Gedankengut Tolstoys, also eine Art christlichen Anarchismus, mit pazifistischen und strikt katholischen Elementen zu einem weltanschaulichen Konvolut von unverkennbarer Individualität verknüpft. Gewiss, die Weltanschauung des Catholic Worker Movement war und ist sowohl umstritten als auch schwer in die Praxis umzusetzen. Dennoch kann man Frazier nur zustimmen, wenn er die unerwartete Langlebigkeit dieses zutiefst spirituellen Projekts gerade auf seine unamerikanischen weltanschaulichen Besonderheiten zurückführt.

Einem vollkommen anderen, religiös-politischen Langzeitprojekt höchst persönlicher Art wendet sich Raymond J. Haberski, Jr. mit seinen Betrachtungen des Lebenswerks von Richard John Neuhaus zu, einem der wohl lebendigsten und besonders anregenden Vordenker eines konservativen Katholizismus im ausgehenden 20. Jahrhundert. Neuhaus, vormals ein lutherischer Pastor, der sich vom liberalen Mainstream abwandte, weil er ihm intellektuell steril und artifiziell erschien, und katholischer Priester wurde, zählte zeitlebens zu den wichtigsten religiös engagierten Intellektuellen der USA; ein von Martin Luther King beeinflusster patriotischer Revolutionär, wie Haberski mit leichter Übertreibung feststellt. Immerhin leistete Neuhaus einen originellen und fruchtbaren Beitrag zu der Debatte über das spannungsreiche Verhältnis von amerikanischem Exzeptionalismus und konservativem Katholizismus, dem Haberski gründlich und voller Empathie nachgeht. Dabei zeichnet er das Bild eines typischen Neokonservativen, der sich vom engagierten Bürgerrechtler und Gegner des Vietnamkriegs mehr und mehr zum modernen Konservativen der 1970er und 1980er Jahre entwickelte, der also nicht mehr primär von rassistischen und antisemitischen Affekten getragen wurde. Neuhaus zählte zu jenen Intellektuellen, denen von Sean Wilentz bescheinigt wird, sie hätten im Vorfeld der Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten maßgeblich daran mitgewirkt, den altbacken wirkenden Konservatismus geistig zu rehabilitieren. Bis zu einem gewissen Grad zählte Neuhaus zu den wichtigsten Rezipienten von Fr. Murray, SJ, was allerdings sofort dieselben Probleme, etwa mit Blick auf die katholische Soziallehre und das Ausdünnen der katholischen Staatslehre aufwirft. Vor allem aber verstellte ihm sein Patriotismus mitunter den Blick für christlich-katholische Anliegen, wenn er sich beispielsweise gegen die ausdrücklichen Verurteilungen Johannes Paul II. und Benedikt XVI. für den Irakkrieg aussprach. Haberski wendet sich gleichzeitig jedoch mit guten Gründen gegen Damon Linkers Vorwurf, Neuhaus und andere „theocons“  hätten Bush konspirativ in den Irakkrieg getrieben. Das haben mehrheitlich säkulare Kräfte durchaus gründlich besorgt. Ungeachtet dieser Richtigstellung kommt auch der Autor nicht umhin, das Lebenswerk von Neuhaus als ambivalent anzusehen, was dessen intellektuelle Leistung indes nicht schmälert, ganz im Gegenteil.

Antonius Liedhegener greift in seinem Beitrag zu den aktuellen Debatten um das Verhältnis von Religion und Zivilreligion einerseits und römischem Katholizismus in den USA andererseits das Leitthema des Bandes, die unaufgelöste und unauflösbare Spannung zwischen amerikanischem Exzeptionalismus und katholischem Universalismus, von politologischer Warte aus auf.  Ausgehend von Robert Putnams empirisch nachvollziehbarem Befund eines Niedergangs der solidaritäts- und kooperationsgerichteten Kohäsionskräfte der US-Zivilgesellschaft, dem Bowling Alone-Phänomen, beschäftigt Liedhegener sich ausführlich mit dem komplexen Zusammenhang von sozialer Textur der Zivilgesellschaft und den spezifischen Beiträgen des Katholizismus innerhalb dieser Textur. Das ist durchweg interessant, aber die Stärke des Beitrags, der Rekurs auf Empirie, ist zugleich eine Schwäche, denn es mangelt an Kriterien für eine Kritik dessen, was da sachadäquat festgehalten wird.

Mit dem Artikel von Clement H. Luken und Irene B. Compton über deutsche katholische Auswanderer in den Raum Cincinnati beginnt der ethnokulturell-historische Teil des Sammelbandes. Es handelt sich um eine ungemein dichte, quellengesättigte Fallstudie über die Pfarrgemeinde St. Bernhard in Cincinnati, die reiches alltagsgeschichtliches Material über das Gemeindeleben von Immigranten von der Antebellumära bis in die Epoche nach dem ersten Weltkrieg bietet.  Der Kirchenbau, die Innenausstattung bis hin zu den Altarbildern, die Messliturgie, Prozessionen, der Klerus – all dies wird übersichtlich und klar dargestellt. Allerdings geht der Materialreichtum auf Kosten der Einbeziehung struktureller Probleme, etwa des latenten Vorwurfs des Erzbischofs von Cincinnati, John B. Purcell, die Deutschen seien im Grunde Kryptolutheraner, bis hin zu den vielfältigen ethnischen Konfliktgemengelagen um wohltätige Vereine, Friedhöfe etc. innerhalb der gemischtethnischen katholischen Bevölkerung des Bistums. Auch scheint mir die Behauptung, bei der Zeitung Der Wahrheitsfreund handele es sich um ein franziskanisches Blatt etwas weit hergeholt.

 Stärker theoriegeleitet ist demgegenüber der Artikel von Thomas Schulte-Umberg, der sich eingehend mit interkulturellen Prozessen innerhalb migrantischer Milieus im amerikanischen Katholizismus beschäftigt, wobei er das Verhältnis zwischen Deutschen und Iren in den Mittelpunkt stellt.  Insbesondere der Niedergang, ja das Verschwinden des deutsch-katholischen Submilieus steht im Mittelpunkt der Ausführungen, die noch etwas mehr empirische Grundierung hätten vertragen können. Dessen ungeachtet bietet der Beitrag eine höchst solide Grundlage für weiteres wissenschaftliches Nachdenken über Milieubildungsprozesse und binnenkonfessionelle Interkulturalität in den USA.

Einen mittleren Weg zwischen reiner historischer Empirie und theoretischen Anliegen hält Nina Möllers, die ihr Dissertationsthema, die Free People of Color in New Orleans, Louisiana aufgreift. Sie fügt dem sowieso bereits bunten und mannigfaltigen Bild des amerikanischen Katholizismus weitere wichtige Facetten hinzu. Diese haben mit der ganz eigenen Ordnung von race in den vormals französischen Territorien der USA zu tun, mit der sozialen Situation kulturstolzer Afro-Kreolen in einem angelsächsischen Umfeld sowie mit dem Changieren zwischen religiöser Orthodoxie und dem afrokaribischen Synkretismus des Voodoo. Man hätte sich aber noch eine eingehendere Analyse der gender-Thematik gewünscht, sowohl im Falle von Voodoo als auch, wenn es um Henriette Delille als Ordensgründerin und damit als Person, die sich offenkundig viktorianischen gender-Vorgaben entzogen hat, geht.  Auch das Problem der oftmals fehlenden priesterlichen Seelsorge für die Afrokreolen und das – vom Josephitenorden einmal abgesehen – fehlende Engagement der priesterlichen Hierarchie in der Schwarzenseelsorge insgesamt hätte man thematisieren können. Dafür geht Möllers aber etwa auf Delilles Funktion als farbige Sklavenhalterin ein, gleichfalls ein Phänomen der lateinischen Kultur auf dem nordamerikanischen Kontinent.

Im Anschluß an die historische Sektion folgen einige Beiträge zum Themenfeld Katholizismus und Medien, die von Ferdinand Oertels materialreichem Aufsatz zur Geschichte und Funktion der katholischen Presse eingeleitet werden. Dabei greift er weit in das 19. Jahrhundert zurück, um sich dann erst der Blütephase der katholischen Presse vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil und schließlich der Gegenwart zu widmen.  Insbesondere  verweist der erfahrene Journalist Oertel auf die apologetische Funktion der Kirchenpresse in einem teilweise gewalttätig antikatholischen Umfeld im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Zu Recht hebt er–gegen Luken und Compton–darauf ab, dass der Wahrheitsfreund 1837, wie viele andere katholische Zeitungen, von einem deutschsprachigen Laien, Johann Martin Henni, gegründet wurde. Überhaupt hatten gerade im 19. Jahrhundert viele katholische Zeitungen, selbst wenn sie offiziell der Aufsicht des Ortsbischofs unterstanden, ein erhebliches Maß an Freiraum, gerade in politischen Dingen. Für das späte 20. Jahrhundert geht Oertel auf die politisch-theologischen Konflikte um die linkskatholische Zeitung National Catholic Reporter und den konservativen The Wanderer ein, wobei er darauf hinweist, wie häufig Kritik am politischen und geistlichen Kurs dieser Zeitungen weniger vom Klerus als vielmehr von den Laien initiiert wurde, die sich dann, über den Episkopat hinweg, direkt an Rom wandten, um ihre Sicht der Dinge durchzusetzen. Ein weiteres Ergebnis der Amerikanisierung? Auf alle Fälle ein Traditionsbruch, ein Akt der Moderne. Der Artikel endet mit einer nuancierten Bestandsaufnahme des Beitrags der katholischen Presse im Zusammenhang der sexuellen Missbrauchsaffäre um das Jahr 2000.

Der für die US-Kultur so eminent wichtigen Populärkultur in Gestalt von TV-Serien widmet sich John Andreas Fuchs in seinem Artikel. Ausgehend von dem Befund Colleen McDannells, wonach Religion in amerikanischen Fernsehserien und Spielfilmen ganz überwiegend katholisch konnotiert sei (was in einem Land mit derart ausgeprägt protestantischer Identitätsgeschichte einigermaßen verwundert) geht Fuchs ausführlich auf die katholische TV-Präsenz in der Gegenwart ein, wobei er, gerade in seiner eingehenden Analyse von West Wing und Bones, deutliche antikatholische Tendenzen ausmacht, die seit dem Ende des Production Code 1967 immer weiter um sich gegriffen haben und auf nahezu sämtliche von Michael Borutta ausgemachten Grundstereotype des traditionellen Antikatholizismus, inklusive Orientalisierung, Feminisierung, Skandalisierung und Kriminalisierung, aufbauen.  Gleichzeitig weist er nach, wie sehr weiterhin die Frage nach dem Verhältnis des Katholischen zum Amerikanischen den Diskurs beherrscht und inwieweit dies in die implizite Forderung mündet, im Konfliktfall das katholische Dogma und die katholische Sakramentenlehre –beispielsweise das Beichtgeheimnis – zugunsten des Staatsdogmas zurückzustellen. Carl Schmitt lässt grüßen! Ein weiterer diskursiver Strang bleibt gleichwohl unerwähnt: Viele TV-Serien neigen inzwischen zu einer „Evangelikalisierung“ des Katholischen. Nicht mehr die Tradition der Kirche oder das systematische Denken der Neuscholastik mit ihrer Möglichkeit der Kritik des staatlichen und ökonomischen Systems und der von ihnen produzierten Ungleichheiten stehen im Vordergrund, sondern eine Art Wettbewerb um treffende, aber zusammenhanglose Bibelzitate. Man denke etwa an die Figur des von der Kirche abgefallenen Staatsanwaltes Jack McCoy in Law & Order.

Thies Schulze befasst sich demgegenüber mit einem dunklen Kapitel katholischer Mediengeschichte in den USA, dem sozialkritischen, antisemitischen Radioprediger Fr. Charles Edward McCoughlin, der in den 1930er Jahren regelmäßig bis zu 40 Millionen Hörer ansprach. Schulze weist mit guten Gründen den Vorwurf zurück, Coughlin sei Faschist gewesen, obwohl autoritäre und faschistische Sympathien des Radiopriesters kaum von der Hand zu weisen sind. Aber in erster Linie war er ein ebenso radikaler wie unzufriedener Sozialreformer, der sich in wachsendem Maße gegen die in seinen Augen halbherzigen Systemkorrekturen von FDRs New Deal auflehnte. Im Mittelpunkt seiner Quellenstudien stehen die Beobachtungen, die der Apostolische Delegat in Washington, DC, Amleto Cicognani  über Coughlin an den Vatikan und Pius XI. weiterleitete. Cicognani kritisierte äußerst heftig die politischen Umtriebe des Priesters, der vor allem von der schützenden Hand seines Bischofs, Michael Gallagher von Detroit, abhing. Da der Bischof seinerseits mit autoritär-katholischen Regimen, darunter dem christlichen Ständestaat in Österreich und der Regierung des k. u. k. Reichsverwesers Admiral Horthy in Ungarn, sympathisierte, kam es zum Konflikt zwischen Rom und Detroit. Vor allem als Coughlin 1936 offen in den Wahlkampf eingriff, wurde der Bischof aufgefordert, seiner Aufsichtspflicht besser nachzukommen. Jahre später, inmitten des Zweiten Weltkriegs, wurde er dann wegen seines Antisemitismus mit einem Schweigeverbot belegt. Der Vatikan verfolgte gegenüber Coughlin und Bischof Gallagher damit konsequent dieselbe Linie, die er im umgekehrten Fall gegenüber dem politischen Katholizismus in Deutschland 1933 eingeschlagen hatte.

Mit dem Beitrag von Hermann Josef Schnackertz über die literarische Darstellung des Katholizismus in Nathaniel Hawthorne’s The Marbel Faun setzt der kulturwissenschaftlich-literaturhistorische Teil des Bandes ein.  Dabei verweist er einleitend auf den antikatholischen Hintergrund der puritanischen und aufgeklärten sowie weiter Teile der transzendentalistischen Literatur des 17.-19. Jahrhunderts. Anders als in Deutschland mündete die Romantik in den USA ja nicht in eine Welle von Konversionen zur römischen Kirche, sieht man von Orestes J. Brownson und Fr. Isaac Hecker, CSP einmal ab. Gerade in den 1830er Jahren nahm der evangelikale Antikatholizismus verschwörungstheoretische und hysterische Züge an, womit er jedoch eine Denkrichtung der Aufklärung einfach nur fortschrieb und radikalisierte. Dennoch, sieht man von S.F.B. Moores verunglücktem Rombesuch ab, übte das päpstliche Rom eine stellenweise irritierend irrationale Faszination auf die protestantischen Besucher aus den USA aus. Genau in diesem Kontext ist The Marble Faun zu lesen. Schnackertz arbeitet nun primär den weiblichen Aspekt der Erzählung heraus, die Konfrontation Hildas mit der marianischen Frömmigkeit des mittelmeerischen Katholizismus, die sich inmitten eines Dramas über Sünde und Schuld abspielt. Dieses Drama mündet dann in die Beichte der Protestantin Hilda im Herzen der katholischen Welt, in Sankt Peter.  Schnackertz arbeitet all die inneren Spannungen und Verweise des Werkes gründlich und tiefgründig heraus. Vor allem ist es ihm um die psychologische einsichtige, stimmungsvolle Schilderung des Scheiterns einer transkulturellen Begegnung zu tun. Am Ende siegt bei den amerikanischen Protagonisten das Heimweh nach Neuengland über die unversehens morbide Faszination durch das Fremde, Andere des römischen Glaubens.

Waldemar Zacharasiewicz dreht den Blickwinkel dann wieder um und stellt eine Reihe katholischer Autoren aus dem amerikanischen Süden vor, derer es, in Anbetracht ihrer außerhalb Louisianas nicht einmal mehr marginalen Zahl, doch relativ viele gibt, wenn man auf religiöse Orthodoxie keinen sonderlichen Wert legt. Ein hoher Stellenwert kommt naturgemäß Flannery O’Connor und ihrer intensiven, durchaus vom Thomismus und seiner Weltzugewandtheit geprägten Auseinandersetzung mit Sünde, Schuld und menschlicher Freiheit zu. Daneben werden Walter Percy und André Dubus behandelt.  Zacharasiewiczs Beitrag krankt ein wenig am Fehlen eines systematisierenden Resümees. Man fragt sich, worin die Spezifik eines südstaatlich-katholischen Beitrags zur amerikanischen Literatur, zu der wohl auch noch Julien Green zu rechnen wäre, liegen könnte.

Josef Raab wiederum bringt einen Gesichtspunkt ein, der, sieht man von Fogartys Beitrag einmal ab, bislang unterrepräsentiert war, den der hispanischen Bevölkerungsgruppe. Selbst die amerikanische katholische Kirche hat in der überbordenden Beschäftigung mit ihrem irischen Erbe diese Bevölkerungsgruppe, die seit den 1960er Jahren beständig wächst, gar zu gerne vernachlässigt. Immerhin betont Raab den ganz anderen Charakter der Frömmigkeitstraditionen, aus denen diese mehrheitlich indianisch-stämmige Migrantengruppe lebt. Auch in Europa wies der iberische Katholizismus über Jahrhunderte Frömmigkeitsformen auf, die sich erheblich von denen Mitteleuropas, Frankreichs und selbst Italiens unterschieden, vom puritanisch-jansenistischen Irland ganz zu schweigen. Dies führte dazu, dass der (dominant irische) Episkopat der USA die religiösen Traditionen der Hispanics gerne als deviant missdeutete. In dieses Umfeld bettet Raab nun seine Untersuchung des literarischen und künstlerischen Schaffens vornehmlich aus Mexiko stammender Autoren und bildender Künstler ein. Diese schwanken oft zwischen Traditionalismus und Adaption und suchen inmitten dieser Ambiguität nach einer eigenen, nunmehr US-amerikanischen Identität, ohne indes ihre Tradition preiszugeben. In dieser Tradition wiederum, darin ähneln die Mexikaner den Afrokreolen Louisianas, finden sich vielfältige Anklänge an indigene Religiosität, Volkskunst und religiösen Synkretismus, wie er für den Katholizismus (und das Pfingstchristentum) so charakteristisch war und ist. Diese Vielfalt wäre gegebenenfalls ein interessantes Thema für die weitere postkoloniale Theoriebildung. Es geling Raab ein präzises Bild der diffusen Strömungen und ihrer Relevanz für die hispanischen Identitätsbildungsprozesse zu zeichnen, das mit Sicherheit für weitere Forschungen anschlussfähig ist und unbedingt sein sollte.

Raabs grundlegende Frage, in der der Kult um die Jungfrau und Gottesmutter Maria bereits breite Erwähnung fand, wird dann von Michael Fink mit Blick auf die Verehrung der Jungfrau von Guadeloupe, die der religiöse Identitätsmarker Lateinamerikas schlechthin ist, in New Mexico noch einmal geschärft und auf ein Fallbeispiel hin präzisiert. Wieder ist von Ambiguitäten (wohl das Leitmotiv des vorliegenden Bandes) die Rede, wenn etwa die Jungfrau einerseits als transnationales Integrationssymbol dient, andererseits aber als Erkennungszeichen krimineller hispanischer Gangs Verwendung findet oder von Feministinnen als Muttergottheit missverstanden wird. Daher erstaunt es nicht, wenn es zu Beginn des 21. Jahrhunderts über eine Madonnendarstellung einer mexikanisch-amerikanischen Künstlerin, Alma Lopez Gaspar de Alba, zu einer heftigen Kontroverse kam, die Fink im Detail nachzeichnet und subtil interpretiert, um sie dann innerhalb der laufenden culture wars zu verorten.

Die beiden letzten Beiträge greifen dann das abschließende Thema von Fr. Fogartys Eingangsartikel neuerlich auf: die Situation, den Auftrag und die Krise katholischer Schulen. Merylann Schuttloffel und Anne Neyer beschäftigen sich mit den fundamentalen Fragen, vor welche sich die katholische höhere Schulbildung in den USA eigentlich schon immer gestellt sah, heute aber noch intensiver gestellt sieht: Wie kann ein genuin katholischer Erziehungsauftrag in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft und vor dem Hintergrund der Trennung von Staat und Kirche aussehen und welchen Beitrag leisten katholische Schulen zu einer amerikanisch-katholischen Identität, die genau diese soziokulturelle Pluralität achtet, ohne die Wahrheitsansprüche der eigenen Religion sowie deren übernationalen und transnationalen Universalismus aufzugeben. Schultoffel gibt, basierend auf einer breiten historischen und empirischen Analyse, eine optimistische Antwort. Weiterhin will die Mehrheit der kirchennahen amerikanischen Katholiken ihre Kinder in katholische Schulen schicken. Allerdings versteht sie die konfessionellen Schulen vorrangig als Integrationshilfen für den Einstieg in die Mehrheitsgesellschaft und tut etwaige Bedenken, denen es um eine stärker religiöse Orientierung zu tun ist, im Stile der liberalen Akkomodationstheologie ein wenig voreilig als fundamentalistisch ab. Neyer bietet einen empirisch dichten Vergleich zwischen dem Schulsystem der Erzdiözese Chicago und deutschen katholischen Schulen, um dann für eine an der Empirie ausgerichteten Neuformulierung der „mission statements“ katholischer Schulen insgesamt zu plädieren. Wie diese allerdings aussehen soll, darüber lässt sie den Leser im Unklaren. Es ist überdies mehr als zweifelhaft, ob die reine soziologische Empirie an dieser Stelle wirklich weiterführt. Viel wichtiger und zielführender wäre es, sich die Frage zu stellen, was man unter „katholisch“ in der Gegenwart normativ und qualitativ zu verstehen hat.

Alles in allem handelt es sich um einen wertvollen Sammelband, der unbedingt mehr ist als eine bloße Buchbindersynthese. Die Probleme des Katholizismus in den USA werden aus ganz unterschiedlichen Perspektiven gründlich und umfassend beleuchtet. Die Frage, ob und wie man zugleich ein guter Katholik und ein guter Amerikaner sein kann, wird nicht durchweg eindeutig beantwortet. Womöglich kann es eine solche Antwort auch gar nicht geben. Wenn man sich aber mit der Frage beschäftigt, kommt man an dem vorliegenden Band kaum vorbei.

Michael Hochgeschwender (München)