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Nachruf auf Professor Dr. Berndt Ostendorf (1940-2024)

Am 18. Oktober 2024 ist Berndt Ostendorf nach langer Krankheit im Alter von 84 Jahren gestorben. Er war von 1981 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2004 Lehrstuhlinhaber für Nordamerikanische Kulturgeschichte am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Nachricht seines Todes ist sehr schmerzlich, vor allem für seine Frau Jutta und die Familie Ostendorf, aber auch für alle, die Berndt als Freund und als Wissenschaftler schätzen.

Berndt Heinrich Ostendorf wurde am 8. April 1940 in Langförden geboren, seine Eltern waren Franz Anton und Maria Elisabeth Ostendorf (geb. Arlinghaus). Als jüngstem von neun Geschwistern, die in einer kleinen Gemeinde im ländlichen Niedersachsen aufwuchsen, war die Beschäftigung mit den Vereinigten Staaten von Amerika Berndt nicht in die Wiege gelegt. Aber als er in den 1950er-Jahren erstmals im Radiosender Voice of America die von Willis Conover moderierte „Jazz Hour“ mit dieser mitreißenden, originär amerikanischen Musik hörte, zog ihn diese – sowie deren Ursprungsland – sofort in ihren Bann. Seine Liebe zum Jazz, den er als „Schlüssel zu Amerika“ und „den wichtigsten Beitrag der USA zur Weltkultur“ bezeichnete, ließ nie nach, ebenso wenig wie die Begeisterung für die Erforschung der amerikanischen Kulturgeschichte.

Berndt Ostendorf studierte Geschichte, Anglistik und Philosophie an der University of Glasgow, der University of Pennsylvania und an der Universität Freiburg, wo er 1969 mit der Dissertation Der Mythos in der neuen Welt: Eine Untersuchung zum amerikanischen Myth Criticism promovierte. Die Schrift, die 1971 im Frankfurter Thesenverlag erschien, und mit literaturwissenschaftlichen sowie philosophischen Ansätzen die Entwicklungsgeschichte des Mythos in der Ästhetik sowie die Anwendbarkeit der diesbezüglichen Theorien auf die Literatur Nordamerikas untersucht, zeigt bereits  die bewundernswerte Interdisziplinarität und fächerübergreifende Wissenskompetenz des Autors. Das nächste wichtige Werk von Bernd Ostendorf war der bahnbrechende Aufsatz „Black Poetry, Blues, and Folklore: Double Consciousness in Afro-American Folklore“. Er erschien zunächst 1975 in den Amerikastudien / American Studies (Bd. 20, 209-259) und wurde 1982 zusammen mit fünf anderen seiner Aufsätze zu ähnlichen Themen unter dem Titel Black Literature in White America in Brighton (Harvester Press) publiziert. Dieser Band sowie elf weitere Sammelbände und über 150 veröffentlichte Aufsätze, Buchkapitel, Zeitungsbeiträge und Rezensionen, von denen die Mehrzahl sich mit schwarzen Autorinnen und Autoren, Black Folklore, Minstrelsy, Blues und Jazz sowie Race Relations befassen, trugen maßgeblich zur Etablierung der African American Studies in Deutschland und Europa bei. Es ist unmöglich, die Fülle der Ostendorfschen Publikationen hier auch nur ansatzweise adäquat zu würdigen, aber es sei zumindest kurz auf die beeindruckende Innovativität und analytische Schärfe seiner Fragestellungen, seinen wunderbar geschliffenen, oft mit feiner Ironie gewürzten Schreibstil und die große thematische Breite seiner Schriften hingewiesen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählten neben der afroamerikanischen Kulturgeschichte auch Multikulturalismus, Immigration und Zivilgesellschaft, Fotografie und Reklame, Musik- und Religionsgeschichte, Politik, Populärkultur und Transatlantische Beziehungen. Seine besondere Liebe galt zudem der Stadt New Orleans, über deren Kultur und Musik er zahlreiche großartige Texte schrieb. Auch in seiner letzten Buchpublikation, dem zusammen mit Wolfgang Rathert verfassten, 2018 im Wolke Verlag veröffentlichten Buch Musik der USA: Kultur- und musikgeschichtliche Streifzüge, spielen New Orleans und der Jazz eine herausragende Rolle.

Nicht nur durch seine Schriften, sondern auch durch seine Tätigkeit als Hochschullehrer und die Mitwirkung in zahlreichen Kommissionen, Forschungsinstitutionen und Berufsverbänden hat Berndt Ostendorf sich um den Aufbau, die institutionelle Verankerung, die Modernisierung und die internationale Vernetzung der Amerikastudien in Deutschland und Europa sehr verdient gemacht. Er trat bereits 1969 in die Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien (DGFA) ein, deren Entwicklung er als Beiratsmitglied (1973-1981), als Vizepräsident (1987-1990) und als Executive Director (1990-1993) maßgeblich mitbestimmte. Außerdem zählte er 1997 zu den Gründern der Bayerischen Amerika Akademie (BAA) und war viele Jahre lang aktives Mitglied der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der European Association of American Studies (EAAS), des European Cluster of American Studies (ECAS) und der International Association for the Study of Popular Music (IASPM). Er war als Gastprofessor in verschiedenen Ländern Europas und der USA tätig, u.a. an der University of Massachusetts, der Harvard University und der Venice International University. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde er zudem in den Rat für Migration (RfM) e.V. berufen, dem er bis zu seinem Tod angehörte.

Vor allem aber prägte Berndt Ostendorf fast ein Vierteljahrhundert lang (1981-2004) als Inhaber des Lehrstuhls für Nordamerikanische Kulturgeschichte das Amerika-Institut der LMU München. Er erweiterte die thematischen Schwerpunkte des Instituts und etablierte interdisziplinäre Forschung und Lehre in den Bereichen Kulturgeschichte, Philosophie, Religion und Politik, auch durch die direkte Zusammenarbeit mit Kolleg:innen aus anderen Fächern. Darüber hinaus förderte er mit großem Engagement den internationalen wissenschaftlichen Austausch auf allen Ebenen: Er beteiligte sich intensiv am EU-Erasmus Programm und förderte als Gründungsmitglied von ECAS den Aufbau eines internationalen „Master in American Studies with European Modules“; er verhalf Duzenden von Studierenden mit Unterstützung des DAAD, des German Marshall Fund, oder Fulbright zu Studienaufenthalten in den USA; und er holte mehr als zwanzig amerikanische Gastwissenschaftler:innen ans Institut – darunter renommierte Persönlichkeiten wie George McGovern, Margaret Atwood,  David Blight, James und Lois Horton, Michael Kimmage und John David Smith. Von deren Gegenwart, Lehrveranstaltungen und Vorträgen haben Studierende und Lehrende sehr profitiert, und viele der damals geknüpften Kontakte und Verbindungen halten bis heute.

Als akademischer Lehrer beeindruckte Berndt Ostendorf seine Studierenden mit umfassender Bildung und fachlicher Kompetenz. Er war immer bereit, auf alle möglichen Fragen und Interessen einzugehen, ermutigte die kritische Auseinandersetzung mit etablierten wissenschaftlichen Positionen und die Erforschung neuer, auch außergewöhnlicher Themen. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin habe ich ihn als großzügigen Chef und Betreuer geschätzt, der mir viel Freiraum ließ und mich auch in schwierigen Zeiten förderte (etwa, als die Universitätsverwaltung der Auffassung war, eine Frau mit drei Kindern könne unmöglich habilitieren und darum auch keine Assistentenstelle innehaben). Berndt war mir ein Vorbild, Mentor und Freund, der mich auf meinem Weg stets ermutigend begleitet hat und auf dessen Rat und Fürsprache ich mich immer verlassen konnte.

Die Kolleginnen und Kollegen auf beiden Seiten des Atlantiks, die ihn kannten, sprechen mit höchster Wertschätzung von ihm.  Berndt Ostendorf war nicht nur ein großartiger Wissenschaftler, sondern auch ein dem Leben zugewandter, positiv denkender, liebenswürdiger und humorvoller Mensch. Alle, die das Privileg hatten, mit ihm zusammenzuarbeiten und die ihm freundschaftlich verbunden waren, werden sich seiner stets mit Zuneigung und Dankbarkeit erinnern.  Farewell, dear Berndt – we will miss you very much!

Britta Waldschmidt-Nelson


Obituary for Professor Dr. Berndt Ostendorf (1940-2024)

Berndt Ostendorf died on October 18, 2024 after a long illness at the age of 84. From 1981 until his retirement in 2004, he held the Chair of North American Cultural History at the Amerika-Institut of the Ludwig-Maximilians-Universität in Munich. The news of his death is very painful, especially for his wife Jutta and the Ostendorf family, but also for all those who valued Berndt as a friend and scholar.

Berndt Heinrich Ostendorf was born in Langförden on April 8, 1940, to Franz Anton and Maria Elisabeth Ostendorf (née Arlinghaus). As the youngest of nine siblings who grew up in a small community in rural Lower Saxony, Berndt was not born with an interest in the United States of America. But when he first heard the “Jazz Hour” presented by Willis Conover on the Voice of America radio station in the 1950s, featuring this rousing, originally American music, he was immediately captivated by it – and its country of origin. His love for jazz, which he described as the “key to America” and “the USA’s most important contribution to world culture”, never waned, nor did his enthusiasm for researching American cultural history.

Berndt Ostendorf studied history, English and philosophy at the University of Glasgow, the University of Pennsylvania and at the University of Freiburg, where he completed his doctorate in 1969 with the dissertation Der Mythos in der neuen Welt: Eine Untersuchung zum amerikanischen Myth Criticism. The work, which was published by Frankfurter Thesenverlag in 1971 and uses literary and philosophical approaches to examine the history of the development of myth in aesthetics and the applicability of the relevant theories to North American literature, already demonstrates the author’s admirable interdisciplinarity and interdisciplinary knowledge. Bernd Ostendorf’s next important work was the groundbreaking essay “Black Poetry, Blues, and Folklore: Double Consciousness in Afro-American Folklore”. It first appeared in 1975 in Amerikastudien / American Studies (vol. 20, 209-259) and was published in 1982 together with five other of his essays on similar topics under the title Black Literature in White America in Brighton (Harvester Press). This volume, along with eleven other anthologies and over 150 published essays, book chapters, newspaper articles and reviews, the majority of which deal with black authors, black folklore, minstrelsy, blues and jazz as well as race relations, contributed significantly to the establishment of African American Studies in Germany and Europe. It is impossible to even begin to adequately acknowledge the wealth of Ostendorf’s publications here, but it is at least worth briefly mentioning the impressive innovativeness and analytical acuity of his questions, his wonderfully polished writing style, often spiced with subtle irony, and the great thematic breadth of his writings. In addition to African-American cultural history, his main areas of research included multiculturalism, immigration and civil society, photography and advertising, music and religious history, politics, popular culture and transatlantic relations. He also had a special love for the city of New Orleans, about whose culture and music he wrote numerous great texts. New Orleans and jazz also play a prominent role in his latest book publication, Musik der USA: Kultur- und musikgeschichtliche Streifzüge, written together with Wolfgang Rathert and published by Wolke Verlag in 2018.

Not only through his writings, but also through his work as a university lecturer and his participation in numerous commissions, research institutions and professional associations, Berndt Ostendorf has rendered outstanding services to the development, institutional anchoring, modernization and international networking of American Studies in Germany and Europe. He joined the German Association for American Studies (DGFA) in 1969 and played a key role in its development as a member of the Advisory Board (1973-1981), as Vice President (1987-1990) and as Executive Director (1990-1993). He was also one of the founders of the Bayerische Amerika Akademie (BAA) in 1997 and was an active member of the German Research Foundation (DFG), the European Association of American Studies (EAAS), the European Cluster of American Studies (ECAS) and the International Association for the Study of Popular Music (IASPM) for many years. He has been a visiting professor in various countries in Europe and the USA, including the University of Massachusetts, Harvard University and Venice International University. At the beginning of the 21st century, he was also appointed to the Council for Migration (RfM) e.V., of which he was a member until his death.

Above all, however, Berndt Ostendorf shaped the Amerika-Institut at LMU Munich for almost a quarter of a century (1981-2004) as holder of the Chair of North American Cultural History. He expanded the thematic focus of the Institute and established interdisciplinary research and teaching in the fields of cultural history, philosophy, religion and politics, also through direct collaboration with colleagues from other disciplines. In addition, he was highly committed to promoting international academic exchange at all levels: He participated intensively in the EU-Erasmus program and, as a founding member of ECAS, promoted the establishment of an international “Master in American Studies with European Modules”; he helped dozens of students to study abroad in the USA with the support of the DAAD, the German Marshall Fund, or Fulbright; and he brought more than twenty American visiting scholars to the Institute – including renowned personalities such as George McGovern, Margaret Atwood, David Blight, James and Lois Horton, Michael Kimmage and John David Smith. Students and teaching staff have benefited greatly from their presence, courses and lectures, and many of the contacts and connections made back then have endured to this day.

As an academic teacher, Berndt Ostendorf impressed his students with his comprehensive education and professional expertise. He was always ready to respond to all kinds of questions and interests, encouraging critical examination of established academic positions and research into new, even unusual topics. As a research assistant and habilitation candidate, I appreciated him as a generous boss and supervisor who gave me a lot of freedom and supported me even in difficult times (for example, when the university administration was of the opinion that a woman with three children could not possibly habilitate and therefore could not hold an assistant position). Berndt was a role model, mentor and friend who always encouraged me on my path and on whose advice and advocacy I could always rely.

Colleagues on both sides of the Atlantic who knew him speak of him with the highest esteem.  Berndt Ostendorf was not only a great scientist, but also a life-oriented, positive-thinking, kind and humorous person. All those who had the privilege of working with him and who were his friends will always remember him with affection and gratitude. 

Farewell, dear Berndt – we will miss you very much!

Britta Waldschmidt-Nelson